Die Nacht in einer beheizten Cabin zu verbringen, das ist bei dieser Eiseskälte hier wunderbar. Dank eines guten Gespräches mit der Dame in Mormon Lake, konnte 2Tall uns eine bezahlbare Cabin organisieren. So toll!
Ich genieße die warme Dusche und fühle mich wie ein neuer Mensch. Ich habe das Gefühl, ich bin den Elementen hier voll ausgeliefert und habe, trotz der relativ guten Ausrüstung, kaum eine Chance, der Natur etwas entgegenzusetzen. Sei es Wind oder Schnee, wir Menschen sind nur kleine Wesen hier in dieser großen, weiten Welt Arizonas.
Wir starten am nächsten Morgen um kurz nach 8 Uhr, stoppen aber noch kurz am Saloon, um Mails abzurufen. Obwohl der Laden zu hat, geht das WLAN, und sowohl bei Guthook als auch im General Store wird das Passwort mitgeteilt. Immerhin.
Wir gehen ein Stück durch den Ort "Mormon Lake" und kommen an schicken Holzhäusern vorbei, die aber wohl nur zu Ferien- oder Wochenendzeiten bewohnt werden. Der Ort wirkt nämlich irgendwie leer und unbewohnt.
Wir gehen ein Stück durch den Wald bergauf, dann stoßen wir auf den Trail und wandern weiter Richtung Süden. Das Wetter ist "mal wieder" sonnig warm und der Himmel dunkelblau. Unsere Futtertüten sind für vier Tage gefüllt, was vom Gewicht machbar ist.
Als wir an die Stelle kommen, wo der Wassercache ist, sind wir sehr erleichtert, dass unsere Gallone da ist und noch nicht geöffnet und benutzt wurde. Nach einer entspannten Mittagspause gehen wir weiter und stellen fest, dass sich der Wald etwas verändert hat. Es ist grüner am Boden und es gibt mehr Laubbäume, die sich schon herbstlich verfärbt haben. Mit der Sonne und dem blauen Himmel sieht das wunderbar aus und die Wärme der Sonne lässt uns seit langem mal wieder im T-Shirt wandern. Herrlich.
Während einer Pause überholt uns "Machine" der diesen Abschnitt komischerweise etwas langweilig findet. Er ist vor zwei Wochen gestartet und war, wie wir, von dem Wetter hier mehr als überrascht.
Nach 17 Meilen erreichen wir eine Wasserstelle, die von Kühen, Rehen und diversen Fröschen benutzt wird. Wir schöpfen unser Wasser und können auch ganz in der Nähe das Zelt aufstellen, denn hier hat schon jemand einen Windschutz gebaut und einen Baumstamm zurecht gelegt, auf dem wir sitzen und kochen können.
In der Nacht höre ich Gekläffe und Gejaule, als wäre eine Hundemeute unterwegs. Es sind wahrscheinlich Coyoten, denn auf dem Trail sehen wir auch immer wieder verdächtige "Häufchen". Diese Coyoten können ganz schön laut und ausdauernd singen.
Leider müssen wir bei der Kälte am Morgen noch Wasser schöpfen. Direkt vor mir, wo ich den Becher eintauchen will, schwimmt ein Vieh weg, das wirklich unheimlich aussieht. Wie eine riesige Kreuzung aus Eidechse und Kaulquappe. Vielleicht finde ich den Namen dieses Ungeheuers noch, dann werde ich berichten.
Wir laufen los und bewundern die Gräser und Disteln, die von Eis umhüllt sind. Das macht die Landschaft besonders, echte Eisblumen quasi. Die Gegend ist leider etwas weniger waldig und Büsche dominieren die Gegend wieder. Es liegen eine Menge Knochen herum, teilweise sind sie auch adrett zusammengelegt worden, aber von welchen Tieren sie sind, können wir nicht immer sagen. Es sind bestimmt auch die großen Wapitihirsche dabei.
Leider ist 2Tall heute nicht ganz fit. Wir überlegen, was die Ursache dafür sein könnte. Ob bei dem Dreckswasser und dem Filtern etwas schief gegangen ist? Oder war die Nacht mit dem Vollmond doch nicht so erholsam? Vielleicht sind es aber auch einfach nicht ausreichend Kalorien, die 2Tall zu sich nimmt oder wir müssen unsere Supplemente noch mal durchdenken. Ich schlage vor, einen Kaffee zu kochen, sowas hilft ja bei mir immer. 2Tall steht aber eher auf was Kaltes und deswegen gibt es Eiskaffee. Ok, statt Vanilleeis und Sahne gibt es nur kaltes Wasser und Zucker zum Koffein, aber das scheint etwas zu helfen, denn danach geht es erstmal mit der Müdigkeit.
Nach 15 Meilen kommen wir zu unserem dritten Wassercache und auch dieser ist glücklicherweise intakt. Wie toll, dass das so gut geklappt hat und der Trailangel so zuverlässig ist. Die Gallone ist schnell umgefüllt, dann gehts noch etwas weiter. Die 20 Meilen machen wir zwar nicht mehr voll, aber wir kommen noch durch ein schönes Tal und finden auch einen guten Zeltplatz. Es wird nicht ganz so schnell so kalt, so dass wir Hoffnungen haben, dass die Nacht etwas milder wird. Das klappt aber leider nicht. Ich wache sehr häufig auf und schlafe nur wenig, weil ich entweder friere, pieseln gehen muss oder die Coyoten heulen, was wirklich unheimlich klingt, denn im Tal hallen die Geräusche stark nach. Es wird seit langem mal wieder eine sehr unruhige Nacht und entsprechend gerädert wache ich am Morgen auf.
Wir frühstücken wieder im Zelt, leider streikt bei diesen frostigen Temperaturen sogar unsere Gaskartusche. Sie möchte auch einen Moment in den Schlafsack, um warm zu werden, dann tut sie es wieder.
Wir gehen zwei Kilometer zu einer stark befahrenen Straße, wo auch ein Parkplatz mit einer Bärenbox steht. Dort können wir Wasser auffüllen und sogar schon die warmen Klamotten ausziehen, so schnell wärmt die Morgensonne alles wieder auf.
Wir haben lange Strecken durch Wald und felsige Landschaft, bis wir an einen Canyon kommen, in den wir steil hinab steigen. Unterwegs hat jemand mit Tannenzapfen die 300 Meilen-Marke gelegt. Wir können es kaum glauben, dass wir hier schon 480 km durch Arizona gelaufen sind. Wow.
In der Tiefe des Caynons machen wir auf dem Kiesbett unsere Mittagspause mit der täglichen Trocknung unserer Sachen. Das klappt bei der trockenen Luft und dem intensiven Sonnenschein sehr gut. Leider habe ich mal wieder eine Blase an der Außenkante der Ferse entwickelt. Mir ist das ein Rätsel, dass ich damit schon wieder zu tun habe, nach so vielen Kilometern auf den Füßen. Es tut weh und nervt und ich habe mal wieder diese Schuhe in Verdacht... Aber die haben sowieso an allem Schuld.
Leider müssen wir aus dem Canyon auch wieder raus, aber der Gegenhang ist nicht ganz so lang. Hier wurden sogar Stufen gebaut, was manchmal hilft, wenn sie denn nicht so hoch sind.
Wir gehen nach schöner Landschaft noch ein weiteres Mal in die Tiefe und befinden uns in einem absolut verwunschenen Flusstal. Es gibt Felsen, Wasser und einen sich schlängelnden Wanderweg am Hang entlang. So etwas Liebliches haben wir hier in der rauen Landschafts Arizonas noch gar nicht gesehen. Es gibt diverse schöne Campspots, aber es ist erst vier Uhr und ich würde sehr gerne diesmal eine etwas wärmere Nacht verbringen. Dazu müssen wir noch einige Höhenmeter absteigen, dann haben wir mit den Temperaturen auch eine Chance.
Wir kommen noch an einer Holzhütte vorbei, die vielleicht zum Schlafen etwas Schutz bieten könnte, aber sie ist dreckig und der Mäusekot verheißt nix Gutes. Nein, hier wollen wir nicht übernachten!
Der Abstieg vom Plateau ist steinig und sehr rutschig, so dass wir gut gucken müssen, um nicht zu stolpern oder umzuknicken. Unsere Füße sind "not amused" über diesen Trail und auch wir sind mental einfach fertig. 2Tall entdeckt zum Glück einen Platz zum Zelten und wir bauen schnell unsere kleine Behausung auf. Leider steht ein alter Baum recht schräg neben dem Zelt, ein klassischer "widow maker", der bald umfallen könnte, so dass wir besser nochmal umbauen. Sonst wird das mit der ruhigen Nacht nämlich auch nix. Wir sind von dem langen Tag hinüber und vielleicht wars auch einfach zu viel mit den 19 Meilen, aber die Temperaturen sind in der Nacht deutlich höher und ich habe seit langer Zeit mal wieder warme Füße. Meine Blase am Fuß pocht zwar enorm bei den wärmeren Temperaturen, aber dafür hat es sich trotzdem gelohnt.
Am nächsten Tag haben wir noch 19 Meilen bis Pine und wir hoffen, das zu schaffen, denn wir sind mal wieder reif für ein richtiges Bett und Town Food.
Diese 19 Meilen haben es aber auch nochmal richtig in sich, denn mit dem Geröll und dem Gekraxel rauf und runter kommen wir körperlich ziemlich an unsere Grenzen. Wir schaffen es bis 17 Uhr am Trailhead zu sein, wo Trailangel Alex uns abholt, den wir per Textnachricht kontaktiert hatten. Das Auto ist eigentlich voll, ich quetsche mich hinten irgendwie in die Ladefläche rein und frage mich, was das wohl für ein Townstop wird.
Alex ist ein Jüngelchen, der wohl den Sommer bei Shannon verbringt und so eine Art "Hausmädchen" ist. Shannon hat ein unfassbar tolles Haus und beherbergt für kleines Geld alle Wanderer, die auf Luftmatratzen in einem Raum über der Garage schlafen wollen. Eine Dusche und eine riesige Waschmaschine gibts auch. Aber ansonsten ist das alles etwas schräg und bizarr hier, das Setting ungewohnt und ich frage mich, ob ich vielleicht inzwischen nicht mehr so flexibel bin auf meine alten Tage. Vielleicht können wir es uns einfach nicht vorstellen, dass so viele fremde Leute so selbstverständlich ein ganzes Haus miteinander teilen, ohne sich gegenseitig erst großartig vorzustellen oder auszufragen.
Wir bekommen glücklicherweise von Alex das Auto geliehen und können uns im Ort eine Pizza besorgen, danach holen wir noch drei andere Hiker ab, die in der Brauerei gegessen haben. Die anderen drei quetschen sich hinten liegend ins Auto, das eigentlich mit zwei Personen und ziemlich viel Gepäck auf der Ladefläche schon vollbesetzt ist. Wenn uns jemand anhalten würde, müssten wir sicher einiges erklären.
Die anderen Hiker sind super nett und erklären uns im Haus alles, denn sie waren vor ein paar Tagen schon mal hier. Denen scheint es sehr zu gefallen. Ich hatte mir hier tatsächlich etwas ganz anderes vorgestellt, vielleicht eher ein älteres Ehepaar oder so, aber erholen können wir uns hoffentlich trotzdem etwas.
Wir werden hier, wie die anderen drei Hiker, einen Zeroday machen und hoffentlich bald wieder gestärkt auf den AZT starten.
(Good Grip, 30.10.2021)