In der Nacht gibt es am North Rim des Grand Canyon ein ordentliches Gewitter und meine nächtlichen Toilettenaktionen sind herausfordernd, denn der Weg bis zum Waschhaus ist sehr lang. Aber irgendwie schaffe ich es einigermaßen trocken, rennen mit Poncho klappt.
Am Morgen gibt es noch mächtig Wind, aber wir können tatsächlich draußen frühstücken und auch das Zelt ist durch den Wind gut getrocknet. Gegen 7:45 Uhr starten wir unseren Weg in die Tiefe des Canyons und der breite Trail ist von einer Gruppe berittener Mulis regelrecht kaputt getreten. Wir riechen nicht nur die Äppel, auch gibt es mehrere, große, streng riechende Pfützen auf dem Weg.
Die Blätter der verschiedenen Sträucher sind teilweise schon rötlich verfärbt, was mit den Brauntönen der Steilhänge einfach wunderbar aussieht. Wir verlieren schnell an Höhe. Bis zum Grund des Grand Canyon werden es heute über 1700 Höhenmeter sein! An der ersten Wasserstelle machen die Mulis Pause und wir überholen sie. Dann fängt es leider an zu regnen und mit voller Montur gehts immer weiter in die Tiefe des Canyons. Die Farben und die Blicke sind auch mit dem Regen gigantisch, aber trotzdem, es ist schon irgendwie schade.
Am Rastplatz Manzanita treffen wir zwei von den Thruhikern wieder, die auch an unserem letzten Campingplatz waren. Sie haben sich Zeit gelassen, sonst hätten wir sie wahrscheinlich nie wieder gesehen. Obwohl wir bergab schon ganz schön flott und nach einigen Wochen Wandern auch trittsicherer sind, kommen wir an die Tagesmeilen von den ganz harten Thruhikern nicht ran.
Wir werden von einem Wanderer darauf hingewiesen, dass sich unterhalb der Mauer eine Klapperschlange befindet, und da sehen wir sie liegen, groß und dick. Sie bewegt sich sehr langsam ins Gebüsch, aber ihr Hinterteil mit der "Klapper" ist ganz eindeutig zu erkennen. Uff, unsere erste Klapperschlange, das ist gruselig, aber auch faszinierend.
An der Cottonwood Campsite scheint wieder die Sonne und Ponchos und Socken werden fast trocken, während wir unsere Tortillas verspeisen. Die Zeltplätze sind hier alle toll gemacht. Es gibt für jeden Platz Picknicktische, eine verschließbare Box für die Essenssachen und eine Stange, wo man seine Rucksäcke aufhängen sollte, denn die Squirrels machen wohl vor nichts Halt und beißen sich überall durch, um an irgendetwas Fressbares zu kommen. Was woanders die Bären sind, sind hier die gefrässigen Hörnchen. Auf der Campsite gestern waren es übrigens die frechen Krähen. Sie haben sich selbst an 2Talls Zahnputztüte versucht und dabei die Zahnpastatube kräftig durchlöchert, als sie mal kurz für zwei Minuten offen auf dem Tisch lag!
Wir kommen trotz der hohen Temperaturen und der Hitze gut voran, aber leider türmt sich vor uns schon wieder eine dunkelgraue Wolkenwand auf. Es dauert nicht lange, dann zucken Blitze und das Donnergrollen rumort laut durch den inzwischen recht engen Canyon. Unter einem Felsvorsprung ziehen wir wieder all unsere Regenklamotten an und wandern los. Es prasselt, windet, blitzt... und neben uns rauscht der Fluss, der sich inzwischen schlammig braun verfärbt hat. Ganz schön unheimlich.
Ziemlich nass und kalt kommen wir an der Phantom Ranch in der Tiefe des Canyons an. Es gibt die Möglichkeit, an einem Kiosk diverse Sachen zu kaufen, und ich versuche mich, mit einem heißen Kaffee aufzuwärmen. An einer Cabin nebendran fragen wir, ob wir uns im überdachten Eingangsbereich aufhalten dürfen, denn leider fängt es immer wieder an zu regnen. Die vier Damen aus Nebraska, die sich wegen des Regens spontan diese Cabin gemietet haben, sind super nett und bieten uns sogar einen Stuhl und ein Handtuch an, damit wir uns trocken legen können. Wir erzählen, was wir die letzten Wochen gemacht haben und wo wir noch hin wollen. Sie sind total platt und können es nicht glauben, wie viele Meilen wir schon gelaufen sind, und dass wir extra aus Deutschland angereist sind, um hier in den USA zu wandern.
Der Bright Angel Campground liegt noch ein paar hundert Meter von der Ranch entfernt. Wir finden einen schönen Platz mit Blick auf den Creek, der mit seiner starken Strömung und den Steinen darin ein unglaubliches Getöse macht. Aber endlich hört es auf, zu regnen, so dass wir das Zelt aufbauen und sogar draußen am Picknicktisch essen können. Es gibt an jedem Platz wieder Tische und eine Box für die Essenssachen, damit alles sicher vor dem aufdringlichen "Wildlife" aufbewahrt werden kann.
Am Abend erleben wir ein kurzes Aufglühen der Steilhänge hoch über uns, noch einen leuchtend, rosafarbenen Himmel, dann wird es dämmrig im Camp. Es ist feucht warm, leider geht kein Wind und wir fragen uns, wo wir unsere pitschnassen Schuhe und Socken verstauen können. Wir legen den nassen, stinkigen Kram in unsere Regenhosen und nehmen sie dann doch mit ins Zelt, wer weiß, was die Squirrels daraus machen würden.
In der Nacht gibt es wieder ein ziemliches Gewitter, aber zum Glück regnet es nicht so stark wie am Nachmittag. Das Wetter ist irgendwie schräg. Wir hatten uns auf Hitze und Trockenheit eingestellt und nun so etwas. Immerhin ist es recht warm, so dass wir diesmal in der Nacht wenigstens nicht frieren.
Am Morgen stehen wir mit dem Tageslicht auf und laufen los. Wir starten auf dem Bright Angel Trail Richtung Süd-Plateau. Über 1300 Höhenmeter liegen vor uns. Wir nehmen eine beeindruckende Brücke über den Colorado River, der ganz schön Strömung hat, und steigen dann stetig bergauf. Im Fluss sehen wir gerade noch drei Rafting Boote, dann gehts für uns in einem Seitencanyon weiter nach oben.
Wir werden von einem "Mule-Train" überholt, den wir schon bei unserem Start gesehen haben. Zwölf bepackte Mulis und zwei Reiter in voller Cowboymontur ziehen langsam an uns vorbei. Es ist beeindruckend, was die Mulis schleppen und wie trittsicher sie sind, denn die angelegten Stufen sind teilweise ganz schön hoch. Ich spreche den einen Reiter an, wie oft er und die Mulis hier in der Woche entlang marschieren. Alle haben erst acht Tage Arbeit und danach sechs Tage frei. Die Mulis gehen also acht Tage hintereinander diese Höhen rauf und runter, wow!
Wir kraxeln nach und nach immer weiter hoch und sind froh, dass wir den Bright Angel Trail gewählt haben. Dieser ist zwar etwas länger, aber dafür nicht ganz so steil und außerdem häufig im Schatten, was sehr angenehm ist, denn die Sonne scheint und sie ist stark hier. Wir machen viele Fotostops und treffen immer wieder auf den Mulizug, der auch seine Pausen mitten auf dem Trail macht. Es gibt auch eine berittene Gruppe Mulis, die wir immer wieder treffen. Die reitenden Touristen sparen sich die Mühen des Wanderns und für einige ist es vielleicht die einzige Möglichkeit, hierher zu kommen, aber die Tiere, auf denen sie sitzen, tun mir auch etwas leid. Es ist, glaube ich, ein hartes Leben als Muli im Grand Canyon.
Mit jedem Höhenmeter weiter ergeben sich neue tolle Blicke in die Tiefe. Der Canyon ist wirklich der absolute Wahnsinn und wir sind froh, dass wir diesen Weg und dieses Naturwunder erleben können. Am Indian Garden, einer grüne Oase mit Campground, machen wir eine kleine Essenspause und treffen diverse Touristen, die vom South Rim nur für den Tag hier herunter gewandert sind. Aber auch das ist für viele schon eine Herausforderung. Es gibt genug Hinweisschilder, dass man sich nicht überfordern sollte und schon gar nicht in einem Tag durch den gesamten Canyon laufen sollte. Aber wir haben den Eindruck, dass viele Leute sich und ihre Kondition komplett überschätzen. In Turnschühchen und teilweise komplett ohne Wasser laufen sie bergab und können sich kaum vorstellen, dass es bergauf nicht ebenso locker und flockig läuft. Heute sind die Temperaturen zum Glück aber noch halbwegs moderat, im Hochsommer kann es hier gefährlich heiß werden.
Je höher wir kommen, desto voller wird der Weg. Die Gerüche nach Waschmittel und Deo werden stärker und die besondere Stimmung verliert sich leider zunehmend. Beeindruckend finde ich einige Trailrunner, die ganz locker bergauf rennen und sich teilweise sogar dabei noch unterhalten. Tja, das ist dann das andere Extrem zu den etwas unfitten und teilweise übergewichtigen Tagestouristen.
Immer wieder treffen wir auf die bekannten Damen aus Nebraska, die uns lauthals begrüßen und sich freuen, uns wiederzusehen. Was für eine tolle Mädelstruppe!
Gegen 14 Uhr kommen wir ganz oben am South Rim an und werfen erstmal unsere nassen Schuhe und Strümpfe von den Füßen. Welch eine Wohltat. Die sauberen Touris gucken uns teilweise etwas abschätzend an, aber wenn ich mir meine dreckigen Fußnägel ansehe, komme ich mir, ehrlich gesagt, auch etwas vernachlässigt vor.
Zu unserem Zeltplatz gehen wir auf hartem Asphalt den "Greenway" zum Mather Campground. Dort gibt es wieder spezielle Hiker Plätze, die aber leider nicht so schön gelegen sind. Denn der Verkehrslärm dröht herüber und die hellen Lampen des Eingangsbereichs strahlen bis zu unseren Schlafplatz. Wir kommen leider 5 Minuten zu spät und können unsere Klamotten nicht mehr waschen. Duschen klappt zwar, aber die dreckigen Kabinen und die 5 Minuten für 2.50$ sind schon etwas dreist. Leider sind auch die Essensboxen feucht, dreckig und viel zu klein, so dass wir insgesamt von dem Setting hier enttäuscht sind.
Nachdem wir geduscht und unser nasses Zelt aufgebaut haben, gehen wir zum Marketplace, wo es Wifi, den Supermarkt und auch einen Deli geben soll. Wir gönnen uns eine riesige Veggie-Pizza, die wir innerhalb von einigen Minuten verspeisen. Hiker Hunger und so. Leider funktioniert das Internet nur sporadisch und Empfang hat 2Talls Handy hier auch nicht. Das ist nervig, weil wir deswegen nichts organisieren oder Kontakt nach Deutschland bekommen können. Ich mache noch meinen Einkauf für die nächsten sechs Tage nach Flagstaff, muss aber in dem unübersichtlichen Laden ziemlich herum suchen, bis ich meine Sachen zusammen habe, und teuer ist es sowieso. Die letzte ungute Information ist die Wettervorhersage in ein paar Tagen. Nächtliche Temperaturen bis -8° Celsius und Schnee... Das kann jetzt nicht wahr sein, oder?
Das Gesamtpaket ist irgendwie ziemlich doof und wir haben das Gefühl, es läuft gerade überhaupt nicht rund. Und das nach diesen wunderbaren Tagen im Grand Canyon. Wir wollen morgen trotzdem weiter, müssen aber am nächsten Morgen unbedingt noch unsere Wäsche waschen, das geht sonst gar nicht.
Gegen 10:30 Uhr haben wir am nächsten Tag alles eingekauft, verpackt, gewaschen und wollen los, als 2Tall nochmal die Möglichkeit von einem anderen Wanderer erhält, sein Telefon zu benutzen. Er ruft in einem Hotel an, um zu checken, ob es doch noch möglich ist, einen kurzen Tag zu machen und die Akkus dort aufzuladen. Es ist bezahlbar, es ist noch ein Zimmer frei und 2Tall reserviert dort, damit wir wieder in die Spur kommen. Das sind tolle Aussichten.
Aber nicht nur bei uns läufts schräg, ein anderer Thruhiker muss den Trail sogar verlassen, weil er irgendwo irgend etwas klären und organisieren muss. Er ist ziemlich aufgebracht und wir hoffen, dass er seinen Weg trotzdem irgendwann fortsetzen kann und wir ihn vielleicht sogar wieder treffen.
Wir laufen sauber, aber mit sehr schweren Rucksäcken 5 Meilen bis Tusayan. Leider die ganze Zeit auf Asphalt. Der Trail ist hier auch ein Fahrradweg und es kommen uns sogar drei Radler entgegen. Außerdem kreuzt eine große, behaarte Spinne unseren Weg, wenn das mal nicht eine von den in Arizona heimischen Taranteln ist!
Wir können früh ins Zimmer des kleinen Motels, denn unser Schlüssel klebt an der Bürotür. Wir sind absolut ko, unsere Muskeln noch etwas angespannt von den Höhemmetern im Grand Canyon, und wir sind so froh, jetzt erstmal hier zu sein. Ich merke, wie erschöpft ich von den letzten Tagen bin und freue mich sehr auf ein weiches Bett, ruhigen Schlaf und etwas Auszeit.
(Good Grip, 7.10.2021)