In Flagstaff müssen wir einige Stunden auf unsere Fahrerin warten, weil sie uns erst um 18 Uhr abholen kann. Wir checken aus unserem Hotelzimmer aus, können aber in der Lobby die fünf Stunden warten. Es ist dort wenigstens ruhig, es gibt etwas zum Sitzen und wir können noch das Internet nutzen. 2Tall bringt den Mietwagen allein zum Flughafen und lässt sich dann mit dem Taxi zurück zum Hotel fahren. Ich warte so lange mit all unseren Rucksäcken.
Die Stunden gehen nur zäh vorüber, auch wenn wir lesen, Mails schreiben oder Youtube Videos gucken. Um 18.30 Uhr kommt dann endlich der weiße Mehrsitzer mit Dachgepäckträger, Hund und Fahrerin.
Die Fahrt bis Page und dann noch 10 Meilen Buckelpiste dauert insgesamt fast vier Stunden, und während dieser Zeit redet die Dame fast ohne Unterbrechung. Ich bin froh, hinten mit dem Hund "Banjo" zu sitzen und mich mit ihm beschäftigen zu können. 2Tall sitzt tapfer neben ihr, versucht auch mal einen Dialog, aber das ist kaum möglich. Sie hört sich am liebsten selber reden.
Es ist schon bald dunkel und es fängt auch immer mal wieder an zu regnen. Wir fühlen uns nicht sicher im Auto, denn unsere Fahrerin fährt entweder zu schnell, zu weit am Rand oder guckt auch mal auf ihr Handy zwischendurch. Wir erreichen bei Regen den Campground, sind angespannt, kaputt, ziemlich durch... was für ein Road Trip.
Wir versuchen uns unter dem kleinen Dach, wo auch der Picknicktisch steht, zu sortieren und in einer Regenpause baut 2Tall schnell das Zelt auf. Wie gut, dass es diese überdachten Plätzchen gibt. Das Zelt von unserer Fahrerin ist durch Wind und Regen komplett zusammen gebrochen. Sie hat sich hier für einige Tage eingerichtet und verdient ihr Geld wohl mit dem Fahren von Wanderern. Das nasse Zelt macht ihr aber nichts, denn Hund und Frauchen werden im Auto schlafen.
Banjo bekommt noch sein Futter und auch unsere Fahrerin stellt sich alles bereit, als würde sie noch kochen wollen. Aber das nächste, was wir wahrnehmen, ist der Geruch eines Joints, den sie sich erstmal im Auto ansteckt.
Die Schauer werden stärker und länger und wir haben Schwierigkeiten, überhaupt in unser Zelt zu kommen. Irgendwann sind wir dann drin und es prasselt und windet so unfassbar stark, aber unser kleines Zelt meistert das mal wieder bravourös. Ich habe zwischendurch wirklich Angst, dass der Starkregen das Material einfach aufreißt. Als dann noch ein Gewitter losbricht, ist an Schlafen überhaupt nicht mehr zu denken. Es knallt und blitzt als gäbe es kein Morgen mehr. Unglaublich. Zwischendurch überlegen wir, aus dem Zelt unter das kleine Dach zu flüchten, aber bei dem Regen kommen wir ja auch gar nicht raus. Und dann hören wir es irgendwann laut rauschen. Durch die Washouts nebenan fließen die Wassermassen und nun können wir uns auch vorstellen, wie die Flashfloodings hier entstehen.
Es wird mit dem Unwetter eine Höllennacht und ich habe zwischendurch auch richtig Angst, wir schlafen knappe drei Stunden. Aber unser kleines Zelt hält wie immer alles aus und wir bleiben komplett trocken
Am Morgen startet unsere Fahrerin um 6 Uhr ihr Auto, palavert noch mit irgendwem und fährt dann los, um weitere Hiker abzuholen. Wir werden nur mühsam wach, aber immerhin scheint die Sonne und wir können die wunderbare Landschaft erkennen. Die roten Felsen sehen klasse aus und wir freuen uns total, heute den Arizona Trail starten zu können.
Komischerweise fliegt ein Kleinflugzeug immer wieder über den Campground und dreht irgendwelche Schleifen. Es fliegt auch nicht besonders hoch und es ist ein merkwürdiges Gefühl so darunter.
Wir starten gegen 9:30 Uhr und haben erstmal einige Höhenmeter vor uns. Ich bin total aufgeregt, dass es wieder losgeht und ich hoffe sehr, dass ich die Höhe (bis zu 3000m) vertrage und ich mit meinen neuen Schuhen zurecht komme. Denn mit Trailrunnern bin ich noch nicht gewandert.
Wir laufen durch einige Washouts, das Wasser ist nahezu komplett verschwunden, aber wir können uns gut vorstellen, was hier in der Nacht durchgerauscht ist. Wir sehen auch frische Fußspuren, nicht lange vor uns muss jemand gestartet sein. Und an der ersten größeren Schotterstraße treffen wir eine Frau, die hier Pause macht. Wir setzen uns zu ihr und erfahren, dass sie allein unterwegs ist, aber ihr Mann und Hund immer wieder an bestimmten Stellen mit dem Van auf sie warten. Sie haben ihr Haus verkauft, den Job gekündigt und sind nun schon einige Monate mit ihrem neuen mobilen "Haus" durch Amerika unterwegs. Sie hat auf dem Trail ihre Sonnenbrille verloren und ist eine Stunde zurück gelaufen, um diese zu suchen. Wir mussten ihr dann nach dieser Geschichte natürlich den Trailnamen "Sunglasses" gegeben, den sie auch angenommen hat.
Wir laufen erstmal weiter und warten nicht auf Sunglasses Mann, auch wenn die Aussicht auf Getränke oder Süßigkeiten verlockend ist. Wir wollen uns aber an der nächsten Wasserstelle mit den beiden treffen und vielleicht zusammen unser Nachtlager aufschlagen.
Die Wasserstellen sind hier häufig Tiertränken und auch diese ist ein gelblich, trübes Wasserloch. Am Baum sehen wir eine Wildkamera, die uns jetzt vielleicht auch aufnimmt, während wir das Wasser erst durch ein Tuch vorfiltern, dann durch den Filter schicken und am Ende noch mit unseren Tropfen behandeln. Das ist schon eine Prozedur, aber wir fühlen uns dann einfach sicherer und das Wasser wird fast glasklar.
Auf dem weiteren Weg bis zum Grand Canyon gibt es aber auch immer wieder Bärenboxen, in die Trailangel Wasser für die Hiker bereit gestellt haben. Das ist toll und wir sind für dieses "Trailmagic" sehr dankbar, denn Flüsse oder Seen gibt es erstmal in dieser trockenen Gegend nicht.
Der Weg ist vom Regen ziemlich gefurcht und das Laufen ist gar nicht so einfach, weil wir immer wieder etwas balancieren müssen. Leider merke ich zunehmend meine Füße und ich bin etwas enttäuscht und frustriert, dass mir die Trailrunner solche Probleme an der Achillessehne und an den Zehen machen. Ich vermute, dass die starke Sprengung für meine Füße sehr ungewohnt ist, ich rolle zu stark ab und die Zehen bekommen ungewohnten Druck, obwohl der Schuh groß genug ist. Blöd.
Auf dem weiteren Weg gibt es eine Sperrung, wegen eines Feuers aus dem letzten Jahr. Wir gehen aber trotzdem durch und hoffen, keinen Ranger zu treffen. Der Trail ist ein ausgetrocknetes Flussbett und wir genießen die Landschaft drum herum sehr. Es sieht toll aus, trotz verbrannter Bäume überall.
Wir sind froh, dass wir auf den Arizona Trail gewechselt sind, es scheint die perfekte Zeit zu sein, denn die Birken leuchten mit ihren gelben Blättern und bilden den perfekten Kontrast zu dem strahlend blauen Himmel. Es ist so farbenfroh und wir können es manchmal nicht glauben, was wir sehen. Nur die Nächte sind leider etwas kalt und wir frieren ziemlich, als es sogar eine Nacht mit -4°C gibt. Unsere Daunenschlafsäcke sind für solche Temperaturen eigentlich ausgelegt, aber sie sind durch die letzten Wochen auf dem PCT nicht unbedingt fluffiger und besser, sondern eher etwas platt geworden.
Am Morgen ist die Kondensation außen am Zelt gefroren und auch im Zelt ist alles ziemlich feucht. Zum Glück können wir mit der warmen Sonne mittags irgendwo unsere Schlafsäcke wieder trocknen, während wir unsere Tortillas essen. Leider ist der frostige, morgendliche Start eher anstrengend, denn mit eiskalten Fingern schaffe ich es kaum, das Feuerzeug zu benutzen, um den Kocher anzuschmeißen. Unsere Haferflocken rühren wir nun bei den Temperaturen auch lieber mit warmem Wasser an und der heiße Kaffee muss dann einfach sein.
Neben der perfekten Wandersaison scheint hier jetzt auch Jagdsaison zu sein. Wir sehen eine Menge Tarnkleidung, die von merkwürdigen Typen getragen wird, und Gewehren, die an Quads angebracht sind. Sie alle wollen wilde Truthähne jagen, wenn sie sie denn finden. Denn bei dem weiten Gelände scheinen die Truthähne doch gewisse Vorteile zu haben. Wir sehen tatsächlich einen Schwarm von zehn Tieren, die über den Trail laufen. Lebend, und wohl auf.
An einem Vormittag treffen wir morgens um 11 Uhr den Ehemann von Sunglasses auf einem Parkplatz. Dort steht auch eine Bärenbox mit Wasser, aber auch ein paar Getränkedosen und zwei Haferflockentütchen sind darin. Wir genießen Pepsi und Dr. Pepper Cola und nehmen auch die Haferflocken dankend mit.
Mit großen Stolz präsentieren Sunglasses und ihr Mann uns ihren Van, erklären uns alles und stellen dann plötzlich fest, dass ein Solarpanel auf dem Dach fehlt. Ob es im Sturm weggeflogen oder sogar geklaut wurde, wissen sie nicht. Das bringt sie aber so aus der Fassung, dass sie uns dann leider keine Snacks oder Süßigkeiten mehr anbieten, wie uns das von Sunglasses ja angekündigt wurde. Tja, so schnell kann sich Trailmagic verflüchtigen, immerhin können wir unseren Müll bei ihnen abladen.
Leider führt der Trail nun eine ganze Zeit parallel zur Straße, die, wie auch unser Weg, zum North Rim des Grand Canyons führt. Die Straße ist mal näher, aber auch mal außer Hörweite, so dass wir den Weg trotzdem genießen können. Denn die Landschaft mit den goldenen Birkenwäldern ist so unglaublich schön. Dieses Leuchten kann ich kaum beschreiben. Die Fotos geben es hoffentlich wieder.
Anders als auf dem PCT sind die Zeltplätze hier auf dem AZT nicht extra ausgewiesen oder in unserer App detailliert beschrieben. Man kann sich selber irgendwo etwas suchen. An einem Abend müssen wir etwas länger gucken und finden dann etwas abseits vom Weg, unter Tannen ein Plätzchen. Der Boden ist, wie fast überall, sehr steinig, aber wir können das Zelt trotzdem aufstellen und es ist auch einigermaßen eben. Allerdings liegen überall alte Metallteile herum, was uns stutzig macht. Ob hier mal irgendetwas abgebaut oder aufgebaut wurde? Denn auch die aufgeschütteten Wälle drum herum weisen auf ehemaliges Eingreifen von Menschenhand hin. Auch diese Nacht wird sehr frostig und wir versinken nahezu in Kondensation, aber die Sonne am Morgen stimmt uns immer wieder zuversichtlich.
Unseren ersten Eindruck von dieser unglaublichen Grand Canyon Landschaft bekommen wir am East Rim. Dort können wir in die Weite und in die Tiefe blicken. Es ist beeindruckend. Der Tag würde perfekt mit ein bißchen Trailmagic werden, aber das ist ja leider nicht planbar. Wir machen an dieser Stelle viele Fotos und sehen dann einen Typen, der mit einer riesigen Kühlbox ankommt. Sollte er etwa hier... jetzt... Trailmagic aufbauen? Wir kommen mit ihm ins Gespräch, er ist Ungar und wartet auf seinen Kumpel, der Deutscher ist. Sie haben leider so gar keine Ahnung, was es bedeutet, so viel zu wandern und packen ihre Kochutensilien aus und fangen sogar an, vor unseren Augen zu essen. Geht gar nicht, mit Thruhikern neben dran! Sie arbeiten in Tuscon und sind hier, weil sie auch eine Erlaubnis bekommen haben, um wilde Truthähne zu jagen. Wir erzählen ihnen, dass wir am Morgen eine Gruppe von mindestens zehn Tieren gesehen haben, was ihnen einen entgleisten Ausdruck ins Gesicht zaubert. Der Deutsche gibt uns netterweise seine Telefonnummer und meint, wir sollen uns melden, wenn wir durch Tuscon kommen. Nett, aber leider bieten uns die beiden nichts von ihrem Essen an. Leider doch kein Trail Magic!
Der letzte Wandertag zum Grand Canyon wird nochmal hart für mich, denn meine Schuhe machen mir bei jedem Schritt starke Schmerzen. Es ist furchtbar und ich bin von den Schuhen und meinen Füßsn so enttäuscht. 2Tall schlägt vor, den einen Teil, der bei jedem Schritt oben am Rand des Schuhs an meine Achillessehne drückt, einfach abzuschneiden. Unser scharfes Messer macht mit den Schuhen mal eben kurzen Prozess... Die Kante wird umklebt und ich kann erstmal besser laufen. Die Schmerzen an den Zehenkuppen sind davon nicht weg, aber Tape und Schmerzmittel helfen für den weiteren Weg bis zum North Rim des Canyons, wo wir übernachten wollen.
Es ist sehr touristisch hier, aber unser Zeltplatz hat eine wahnsinnige Aussicht. Es gibt hier einen Bereich für Hiker und Biker, für den wir nur sechs Dollar zahlen. Der Campingplatz ist ansonsten nämlich voll. Leider sind die Duschen geschlossen und es gibt keine Möglichkeit, unsere Klamotten zu waschen. Das ist nach fünf Tagen Wildnis und Wandern unschön, aber wohl nicht zu ändern.
Leider haben die anderen Wanderer (es sind keine Thruhiker) neben uns keine Camper-Etikette, denn am Morgen starten sie um 5:15 Uhr und unterhalten sich lauthals, rülpsen und furzen herum. Ich bin kurz davor aus dem Zelt zu springen, ärgere mich dann aber doch nur leise fluchend.
Morgen geht es dann in und durch den Grand Canyon, ein Highlight auf dem Arizona Trail. Wir sind sehr gespannt.
(Good Grip, 4.10.2021)