Wir starten vom Fish Lake Resort erst gegen 11 Uhr, denn dann soll das Wetter besser werden. Wir verlassen uns auf den Wetterbericht, geben den Schüssel ab und wandern zuversichtlich los.
Es kommen noch einige Schauer, aber auch längere Phasen von Prasselregen auf uns herunter. Die Schuhe sind irgendwann durch und bei jeder kleinen Pause wird uns sofort eiskalt. Unsere Stimmung sinkt mit jedem Schauer und wir kommen ins Überlegen, ob eine weitere Nacht in der rustikalen Cabin vielleicht doch besser gewesen wäre. Allerdings wurde dort auch alles klamm, wir haben darin gefroren und es war nur begrenzt gemütlich. Die kleine Herdplatte hat den Raum nicht erwärmen können, und so richtig wohl haben wir uns dort auch nicht gefühlt.
Wir laufen ewig durch unfassbar große Lavasteingebiete, die wohl alle vom Brown Mountain ausgespuckt wurden. Aber es gibt zum Glück einen schmalen, roten Weg durch dieses Geröll, der das Laufen angenehm macht. Wir gehen bis zum South Brown Shelter und kommen in eine warme Hütte, weil Overhaul, ein anderer Southbounder, dort schon den Ofen eingeheizt hat. Wie genial ist das. Overhaul ist auch der Cowboycamper, den wir immer mal wieder schlafend an unseren Übernachtungsstellen angetroffen haben.
Er will am späten Nachmittag aber noch weiter laufen, so dass wir die Hütte für uns haben. Gar nicht schlecht, denn er ist schon ein Chaot mit all seinen Sachen und seinen Erzähltiraden. (Wir haben ihn gerade heute in Ashland nochmal gesehen, aber er war leider voll auf irgendwelchen Drogen und hat uns nicht wieder erkannt, sondern nur mit sich selbst geredet. Traurig.)
Während wir uns drinnen aufwärmen und trocknen, kommt draußen eine Rehfamilie vorbei und schaut sich um. Es ist ein bißchen wie im Zoo, nur andersrum, denn wir sind hinter der Glasscheibe.
Am Shelter gibt es eine Wasserpumpe, die etwas Muskelkraft braucht, um eiskaltes Wasser auszuspucken. Aber immerhin gibt es hier Wasser. Wir beiben lange im warmen Shelter, bauen aber trotzdem unser Zelt draußen auf, weil die Hinterlassenschaften der Mäuse drinnen nicht sehr verheißungsvoll sind.
Die Nacht ist kalt und feucht und unser Zelt ist am Morgen triefend nass wegen der Kondensation. Wir heizen am Morgen im Shelter direkt wieder den Ofen an, damit wir unsere Schlafsäcke wenigstens ein bißchen trocknen können.
Der Start durch den Wald ist noch nass, die Sonne kommt heraus, aber sie schafft es noch nicht, all die kniehohen Huckleberrysträucher zu trocknen. Das übernehmen wir mit unseren Beinen und haben bald wieder nasse Füße, weil die Feuchtigkeit einfach von oben in unsere Schuhe läuft.
Ich habe meine Handschuhe noch an, da entscheidet sich eine Wespe, auf meinem Daumen zu landen. Sie verhakt sich wohl an dem Material. Jedenfalls sticht sie erstmal zu und "schenkt" mir alles, was sie zu bieten hat. Ich versuche panisch, meinen Handschuh und den Wanderstock loszuwerden. Das gelingt mir zwar, aber schon nach kurzer Zeit schwillt mein Handrücken ziemlich an. Heftig.
Unsere Mittagspause verbringen wir an einem wunderbar sonnigen Hang, wo wir all unsere Sachen von der Sonne nochmal durchtrocknen lassen. In der Ferne können wir einen schneebedeckten Berg erkennen, das ist vermutlich Mount Shasta, der schon in Kalifornien thront.
Auf dem weiteren Weg sehen wir diverse Spuren von Paarhufern und die dicken Kleckse zeigen deutlich, hier waren Kühe. Warum die Meute hier in den Wald gelaufen ist, verstehen wir allerdings auch nicht. Es gibt hier wohl einige Farmen drum herum, aber in dem Gestrüpp finden die Kühe hier doch kein Futter, merkwürdig.
Und dann kommen uns drei Männer entgegen, die auf Wapiti-Jagd sind. Sie haben Tarnanzüge an, Funkgeräte um den Hals und ihre Armbrust hängt lässig über der Schulter. Wir sind aufgrund ihrer Montur ziemlich irritiert, aber wir grüßen freundlich, wechseln drei Worte und dann trennen sich unsere Wege, erstmal. Ich finde diese Aufmachung so absurd und würde mich nicht wundern, wenn jetzt ein Kamerateam um die Ecke käme.
Leider ist die nächste Quelle wieder trocken und auch am nächsten Creek fließt nur sehr wenig Wasser. Auch wenn die Kuhfladen hier herum liegen, nehmen wir etwas Wasser mit, einen Notfallliter quasi, denn wir wollen ja am nächsten See Wasser holen, wo auch diverse Campingplätze sind.
Vorher treffen wir allerdings noch zwei Sectionhiker, die northbound unterwegs sind. Wir fragen sie wegen des Wassers, und sie möchten gerne wissen, wie die Deutschen mit dem Brexit umgehen. Beide Themen sind ernüchternd, denn sie haben das letzte Wasser vor 10 Meilen bekommen, waren allerdings nicht am See. So weit können wir heute aber nicht mehr gehen.
Noch sind wir zuversichtlich, dass wir unser Wasser am See bekommen, aber am ersten Campground sind wir von dem winzigen Pfützchen, was vom See übrig geblieben ist, geschockt. Der Campingplatz ist verlassen, die Toiletten dicht und die Wasserhähne abgestellt.
Wir gehen bis zum See herunter, was Strecke ist, denn um die kleine Wasserfläche herum ist es knochentrocken. Wir sehen in der Ferne die Bootsrampen und auch das ehemalige Ufer ist zu erkennen. Das muss mal ein riesiger See gewesen sein, der nun leider weggetrocknet ist. Das Wasser ist gelblich und diverse Larven/Tierchen schwimmen in dieser trüben Suppe. Nein, das wollen wir trotz Filterung und Desinfektionstropfen nicht trinken.
Hmm, das ist ja jetzt eine ganz doofe Situation, was haben wir jetzt noch für Möglichkeiten? Wir gucken nochmal in unsere Navigationsapp und lesen, dass das Hyatt Lake Resort, etwa acht Meilen entfernt, wohl auch Hiker abholt. Die haben in dieser Saison auch noch geöffnet. Wir probieren es einfach mal und rufen dort an, denn wir haben sogar Empfang hier. Leider sind wohl nicht genug Angestellte da, sie können uns leider nicht abholen. Das wäre jetzt auch zu einfach gewesen.
Wir laufen auf der Straße in Richtung des Resorts und hoffen, dass wir irgendjemanden anhalten können, der uns vielleicht hilft, aber viel Hoffnung haben wir nicht, denn seit wir in der Nähe der Straße sind, ist noch kein einziges Auto vorbei gekommen. Hinter der nächsten Kurve sehen wir aber einen parkenden Pickup Truck und davor stehen die Armbrustjäger, die wir im Wald schon mal getroffen hatten. Dass wir die nochmal wiedersehen würden, unfassbar. Wir gehen direkt auf sie zu und fragen, ob sie uns eventuell zu dem Resort fahren würden. Drumherum reden war gestern, wir sind offensiv und haben Glück. Einer der drei Tarntypen fährt uns tatsächlich und wir sind so dankbar für seine Hilfe, Armbrust hin oder her.
Das Restaurant hat auch noch auf und die Pizza soll gut sein. Wir bestellen ein riesiges Wagenrad und verschlingen es in Nullkommanix... Was wir inzwischen essen können, ich glaube es fast nicht. Jetzt bleibt nur noch die Frage, wo wir das Zelt aufstellen können. Die Dame vom Resort betont nochmal, dass sie in ihren Cabins Hot Tubs haben, aber der Preis von 160$ pro Nacht erscheint uns dann doch etwas hoch.
Im schönsten Sonnenuntergangslicht gehen wir an der Straße entlang zwei Meilen zum Campingplatz, wo es wohl extra für PCT Hiker Plätze geben soll. Aber auch dieser Campingplatz hat schon für die Saison geschlossen, denn auch der Hyatt Lake ist nur noch ein Pfütze. Wir haben am Resort am Gartenschlauch aber all unsere Wasservorräge aufgefüllt, und gehen trotzdem auf den abgesperrten Platz. Das ist in der Dämmerung schon etwas unheimlich und ganz legal sicher auch nicht, aber es ist ein absoluter Notfall und wir brauchen ja ein Schlafplätzchen. Der Bereich für die Wanderer ist toll und die großen Bäume sind wunderschön. Die hochgeklappten Picknicktische etwas bizarr, aber wir bauen hier unser Zelt auf und hoffen, dass uns keiner in der Nacht wegschickt oder sogar die Polizei holt.
Am Morgen klappen wir uns einen Tisch herunter und genießen das Sonnenlicht, was durch die Bäume scheint, was für ein tolles Plätzchen hier. Wir haben ruhig geschlafen, und die Nacht war auch nicht ganz so kalt wie befürchtet.
Wir starten am Morgen mit extrem viel Energie. Die Pizza gestern hat uns einen richtigen Schub gegeben. Wow, wie sich doch etwas Fett und Gemüse (ja, es war eine vegetarische Pizza) auf unseren Körper und unsere Psyche auswirkt.
Wir laufen durch Wald und Gegend und haben schon ein richtiges Herbstgefühl, denn es gibt verfärbte oder trockene Blätter. Aber der blaue Himmel und die Temperaturen sind dann doch ganz anders als in Deutschland. Wir können weiterhin mit T-Shirt und kurzer Hose laufen, nur die Nächte kühlen schon merklich ab bei dem klaren Himmel. Der nächtliche Mond ist übrigens so hell, dass er Schatten wirft und wir keine Lampe benötigen.
Unsere nächste Wasserquelle ist mal wieder ein Pond. Es gibt Wasserläufer und Froschlaich, das sieht sehr idyllisch aus, und wir würden es im Normalfall sicher niemals trinken, aber wir sind auf dem Trail und brauchen Wasser. Natürlich wird das Wasser von uns gefiltert und chemisch gereinigt, mal sehen, ob es uns bekommt. Weil an unserer nächsten Übernachtungsstelle wahrscheinlich auch kein Wasser vorhanden ist, füllen wir alles auf. Wir schleppen für weitere sieben Meilen und 400 Höhenmeter sieben Liter Wasser. Uff... das ist nicht schön und sehr anstrengend.
Als wir müde an der Campsite ankommen, sitzen dort zwei Menschen, die die Abendsonne genießen. Sie erzählen, dass sie in einigen Tagen Kinder in der Natur unterrichten werden und haben die Vorbereitung hier durchgeführt. Es gibt wohl kaum schönere Orte dafür. Wir unterhalten uns etwas, dann ziehen die beiden los zu ihrem Auto, denn der Parkplatz ist nicht weit entfernt, und wir bauen unser Zelt auf. Die Birken hier sind toll und auch die Hörnchen sind schön anzusehen, wie sie zwischen den Bäumen hin- und herspringen. Toll wäre es, wenn es noch irgendwo Wasser geben würde, 2Tall scoutet, aber es gibt nur eine braune Pfütze, an die wir nicht heran kommen. Wir sparen mit unseren weit getragenen Vorräten, wo wir können, aber knapp wird es werden. Das ist ein komisches Gefühl hier draußen und wir hoffen sehr, dass wir aus der nächsten Quelle einige Meilen weiter am nächsten Morgen, noch etwas schöpfen können.
Leider schlafe ich in dieser Nacht nicht gut, ich wache mehrmals auf, mir knurrt mal der Magen oder ich habe einen extrem trockenen Mund. Vielleicht bin ich etwas dehydriert, vielleicht auch nur erschöpft. Ich weiß es nicht. Die kalten Nächte und die sehr warmen, trockenen Wandertage zehren schon.
Unser vielleicht letzter Tag auf dem PCT bietet uns dann nochmal alles, was man sich vorstellen oder eben nicht vorstellen kann. Die Quelle kurz nach unserem Start führt glasklares, kaltes Wasser und auch soviel, dass wir hier nochmal einen Liter ohne größere Anstrengung für den Weg auffüllen können. Wir haben tolle Fernblicke, wenn auch etwas dunstig und kommen unterhalb eines riesigen Felsens mit dem schönen Namen "Pilot Rock" vorbei.
Wir haben 12 Meilen vor uns, bis wir an Callahan's Lodge ankommen, wo wir uns noch zwei Pakete haben hinschicken lassen. Eins von einem Outdoorladen, mit neuen Schuhen für 2Tall. Sehr passend, denn seine sind nun wirklich hinüber, und dabei sich aufzulösen. Und ein paar Sachen für mich, die wir bei unserer Freundin an der Ostküste zwischengelagert hatten. Vielen Dank, liebe Tiptoe!
Die Pakete sind schnell abgeholt, nun müssen wir also irgendwie noch nach Ashland kommen. Callahan's ist umgeben von Straßen, nicht sehr idyllisch, aber es scheint trotzdem schwierig, sich irgendwo mit dem Daumen hinzustellen. Wir bekommen von der Mitarbeiterin eine Liste von Trail Angels, die wohl Fahrten anbieten, aber entweder gehen sie nicht ans Telefon oder sie können gerade nicht. Es ist wirklich bizarr, dass wir hier nicht weg zu kommen scheinen. Ich schlage vor, es doch per Anhalter zu versuchen, auch, wenn wir uns nicht sicher nicht, wo wir uns überhaupt hinstellen können. Während wir noch an der Straße gucken, hält ein graues Auto mit einem Police Officer drin. Er fragt uns aus, was wir hier machen würden, wo wir hin wollen, was wir vorhaben... bis er uns schlussendlich fragt, ob wir einen Ride haben wollten. Ja, klar, gerne, warum nicht. Ein Trailangel verkleidet als Officer? Nein, er ist ein State Trooper, das Auto ist innen komplett mit Hightech und einem Arrestplatz ausgestattet. 2Tall darf vorne sitzen, ich komme in die Arrestbox, sitze auf Metall und kann die Tür von innen natürlich nicht aufmachen. Als er uns in seinem Auto Platz macht, sagt er uns offen ins Gesicht, dass wir stinken würden. Danke, wissen wir. Der Typ ist unheimlich, das Verhör geht im Auto weiter und er rast wie ein Verrückter über die Interstate. Ich fühle mich extrem unwohl, weil ich mich auch überhaupt nicht bemerkbar machen kann.
Immerhin bringt er uns direkt vor die Tür unseres Motels. Mann, bin ich froh, als ich aus diesem klaustrophobischen Auto aussteigen kann. Wir sind angekommen, ja, aber weitere Fahrten mit der Staatspolizei, nein danke. Aber es ist ja schon eine witzige Story, mal von der Polizei per Anhalter mitgenommen zu werden!
War dies nun unser letzter Tag auf dem PCT? Wir haben uns noch nicht endgültig entschieden, aber die Zeichen stehen auf Abschied. Die Feuer wüten weiterhin in Kalifornien und die Luftqualität wird weiter südlich nicht besser. Die Wasserquellen sind kaum noch vorhanden und die Trail Angels haben ihre Hilfe quasi auch eingestellt, weil kaum noch Wanderer gen Süden unterwegs sind.
Washington und Oregon sind wunderbare Abschnitte auf dem PCT und wir sind von diesem Trail absolut begeistert. Wir können ihn uneingeschränkt empfehlen. Vielleicht war dies bisher unsere schönste Wanderung!
Die letzten Wochen waren spektakulär und wir haben unglaubliche Erfahrungen gemacht. Wir haben so viele tolle Menschen kennengelernt und hoffen, dass wir mit ihnen in Kontakt bleiben können. Es stimmt uns traurig, dass wir wohl jetzt vom PCT Abschied nehmen werden. Aber trotzdem: Happy trails!
(Good Grip, 24.9.2021)