Shelter Cove ist für uns eine Herausforderung, denn mit netten Leuten zu plaudern, seine eigenen vielen Sachen zu erledigen, zu essen und sich dazwischen auch nochmal eben zu erholen, ist quasi nicht alles an einem Tag möglich. Wir haben es nicht gut geschafft und so sitzen wir am Morgen bei Pancakes und Kaffee sehr angespannt und ziemlich unzufrieden vor dem Laden.
Vielleicht hätten wir doch noch einen Ruhetag einlegen sollen, aber es herrschte irgendwie Aufbruchsstimmung sowohl bei Bear Can, Wildlife und auch den anderen Hikern, die sich hier getroffen hatten. Auch die Nacht war alles andere als erholsam, denn ich konnte nicht einschlafen, der Highway war in der Nähe deutlich zu hören und auch die Eisenbahnlinie wurde mehrmals und lautstark genutzt. Als ich in der Nacht pieseln war, stürzte ein Baum krachend um, ob sich ein Bär daran geschubbert hat?
Wir laden nochmal unsere Handys auf, dann gehts mit schwerem Gepäck um 10:30 Uhr los. Es ist spät, wir sind immer noch etwas angespannt, hoffen aber, dass wir uns einlaufen können. 600 Höhenmeter haben wir an einem Stück zu bewältigen, und wir warten ab, wie es läuft und entscheiden dann, wo wir am Abend das Zelt aufstellen. Bear Can und Wildlife werden wir wohl die nächsten Tage nicht treffen, denn sie machen immer etwas mehr an Meilen und starten auch am Morgen früher als wir.
Wir sehen einen einzigen Hiker an einem See sitzen, ansonsten haben wir den Trail für uns. Das fühlt sich etwas komisch an, besonders am Abend an unserer Campsite. Es ist so unglaublich ruhig und still hier.
In der Nacht fängt es leicht an zu regnen, was sich in den nächsten Stunden zu einem Wolkenbruch entwickelt. Es prasselt so laut auf unser kleines Zelt, dass ich denke, das Material hält diesen riesigen Tropfen nicht stand. Am Morgen hört es dann aber glücklicherweise auf zu regnen und obwohl etwas Wasser unter das Zelt gelaufen ist, sind wir komplett trocken geblieben.
Nach dieser sehr feuchten Nacht können wir dann allerdings den ganzen Tag ohne unsere Regenklamotten wandern und am Nachmittag guckt nochmal kurz die Sonne raus. Allerdings bleibt es kühl und wegen der Wolken ist die Landschaft um uns herum kaum erkennbar. Ich bin sehr froh, dass ich heute nicht durch Regen wandern muss. Ihr wisst ja um meine "Schlechtwetter-Allergie"...
Erstaunlicherweise treffen wir nach langer Zeit mal wieder einen Sectionhiker, der northbound unterwegs ist. "Pilot" kann uns über den Wassercache berichten, dass dort noch ausreichend Gallonen vorhanden sind. Gut so, denn dann müssen wir nicht noch zur Quelle, sondern können am Cache unsere Flaschen für die Nacht auffüllen. Wir klettern durch einen kleineren abgebrannten Bereich und dann stellen wir unser nasses Zelt nach 26 km auf einem Plateau auf und hoffen auf einen schönen Sonnenaufgang, inklusiver Zelttrocknung natürlich.
Der Sonnenaufgang ist fantastisch und der Himmel super klar. Wir haben einen unglaublichen Blick in die Ferne und selbst das Zelt lässt sich bei dieser Sonne ein wenig trocknen. Bis zur nächsten Wasserstelle ist es nicht weit, es geht durch wunderschönen Wald, allerdings liegt die Quelle ungefähr 60 Höhenmeter unterhalb unseres Weges. Ich brauche gut 30 Minuten, um da runter zu stiefeln und mit dem Becher unsere Vorräte aufzufüllen. Es ist dort mit den vielen Vögeln und Streifenhörnchen sehr idyllisch, aber das Wasser nutzen hier sicher auch gefährlichere Tiere. Deswegen pfeife, singe und quatsche ich so vor mich hin. Auf eine Bärenbegegnung am Morgen steht mir heute irgendwie nicht der Sinn.
Um das Wasserloch sind nicht nur viele Vögel zu sehen, im Matsch kann ich auch einige Tierspuren erkennen. Ich erkenne Rehe, es könnte auch ein Mountain Lion dabei sein. Etwas unterhalb des Lochs fließt das Wasser glücklicherweise und ich kann dort fast klares Nass schöpfen und brauche nicht das Wasserloch der Tiere zu nutzen.
Der Aufstieg zurück ist mit den vollen Wasserflaschen und der Faltflasche sehr anstrengend und ich puste entsprechend als ich wieder bei 2Tall ankomme. Voll beladen ziehen wir los, natürlich geht es erstmal bergauf. Mann, diese Schlepperei mit dem Wasser ist heftig und die Rucksäcke wiegen so viel mehr.
Und plötzlich passe ich einen Moment nicht auf und lege mich mal gepflegt mit voller Montur auf die Nase. Keine Ahnung, warum ich über diesen kleinen Ast gestolpert bin, aber die Schutzreflexe funktionieren und Hände und Knie fangen den Sturz gut ab. Kurzer Check, mir ist nichts passiert.
Wir haben noch einiges an Meilen vor uns und wir hoffen sehr, dass wir es bis zum Creek schaffen. Wir fühlen uns richtig gut und sind deswegen sehr zuversichtlich, die 32 km machen zu können. Als wir auf dem Aufstieg zum höchsten Punkt (7560 feet) in Oregon und Washington sind, stolpert 2Tall ebenfalls und fällt auf seine Knie und Hände. Was ist denn heute mit uns los? Zum Glück passiert auch 2Tall nichts Schlimmeres als eine kleine Schürfwunde.
Wir laufen mal wieder durch grandiosen Wald und eine wunderschöne Landschaft. Ich weiß, dass ich das inzwischen sehr oft geschrieben habe. Aber so ist es einfach. Die Wolken am blauen Himmel unterstreichen dieses unfassbare Bild und wir sind von diesem Tag mal wieder restlos begeistert. Es ist einfach schön!
Der Creek unterhalb von Mount Thielsen führt eiskaltes Wasser und am Abend leuchtet die Bergspitze im wunderschönen Abendlicht. Ein einsames Zelt steht oberhalb des Flusses, aber von Bear Can oder Wildlife ist nichts zu sehen. Wir rufen und machen uns bemerkbar, aber irgendetwas scheint nicht zu stimmen. Wildlife kommt etwas angeschlagen aus dem Zelt gekrochen. Bear Can sehen wir gar nicht. Beide haben Magen-Darm-Probleme und sie vermuten, dass der Burger in Shelter Cove ihnen zugesetzt hat. Oh mann, die Armen. Ich hätte die lange Strecke mit Schmerzen und Übelkeit nicht geschafft.
Zum Abendessen gesellt sich Wildlife aber noch zu uns und wir freuen uns sehr, sie wiederzusehen und mit ihr zu erzählen. Wir sind tatsächlich heute 20 Meilen gegangen, das sind 32 km. Ich kanns kaum glauben, dass wir soviel gewandert sind, dass ich überhaupt so weit laufen kann.
Leider ist unser Zeltplatz sehr uneben und ich schlafe deswegen nur mit Unterbechungen, weil ich immer wieder meine Isomatte und mich zurecht ruckeln muss. Wir hören die beiden Chemnitzer am Morgen schon räumen und sie scheinen weiter gehen zu können. Ich versorge Bear Can mit meinen Schwedenbitter-Tropfen und hoffe, dass es ihm heute etwas hilft und sich sein Magen-Darm-Trakt beruhigt.
Wir gehen bei einem strahlenden, blauen Himmel los, und auch wenn es noch sehr kühl ist, können wir in der Ferne die Landschaft, aber auch eine braun, graue Rauchschicht deutlich erkennen. Es ist windstill und wir hoffen, dass wir etwas weniger von dieser schlechten Luft abbekommen.
Wir wandern heute tatsächlich mal wieder einen etwas tristeren Abschnitt durch verbrannte Bereiche, wo auch viele Bäume schon gefällt wurden. Das ist eben heute einfach mal ein Tag, um Strecke zu machen.
An zwei Stellen gibt es gefüllte Wassergallonen, die die Trailangel für die Wanderer bereit gestellt haben. Das ist einfach toll und wir sind so dankbar über das Wasser in diesem trockenen Bereich des PCT. Als wir gerade an der zweiten Stelle auffüllen, fragt uns ein Ehepaar, die hier mit dem Auto unterwegs sind, warum denn dort Wasser wäre. Wir erklären alles und erfahren, dass sie einige Jahre in Osterholz-Scharmbeck gewohnt haben, weil der Mann Hubschraubermechaniker für die Army war. Bei uns um die Ecke. Wie witzig ist das denn jetzt. Tja, Welt, klein und so.
Wir gesellen uns mit unserem Zelt zu Wildlife und Bear Can und merken bald nach dem Abendessen, dass es eisig kalt wird. Wir frieren alle während der Nacht und am Morgen sehen wir auf dem Trail einige Stellen, die von Rauhreif überzogen sind. Brrrr.
Wir kommen sehr früh los, denn wir müssen uns zügig bewegen, sonst frieren wir irgendwo fest. Wir haben einen leichten Aufstieg, der hilft, um uns aufzuwärmen, dann kommen wir am ersten Aussichtspunkt vom Crater Lake an. Der haut uns um. Wow, was ist das für ein Anblick. Es ist klar, es ist sonnig und es ist absolut beeindruckend.
Vor 7700 Jahren bricht der Vulkan hier aus und hinterlässt einen knapp 600 Meter tiefen Krater, der nun mit Wasser gefüllt ist. Wahnsinn. Dieser Anblick ist absolut der Hammer. Wir gehen den sogenannten Rim Trail und verlassen dafür den PCT. Immer wieder haben wir Ausblicke auf Wizard Island und können uns kaum an dem dunkelblauen See satt sehen.
Nach über 8 Meilen kommen wir zum Gift Shop und Café und überlegen mit unseren beiden Wanderfreunden, was wir nun machen und ob wir uns eine Unterkunft buchen. Von einem Sectionhiker hatten wir gehört, dass das "Aspen Inn" sehr schön und bezahlbar sein soll. Wir können alle einen Erholungstag gebrauchen. Aber um nach Fort Klamath zu kommen, ist eine etwas längere Fahrt nötig. Wir entscheiden uns, zusammen eine größere Cabin zu buchen. Wildlife und Bear Can stellen sich an die Straße, um direkt von hier nach Fort Klamath zu fahren. Sie sind immer noch nicht ganz fit und bei den vielen Autos hält hoffentlich ein hikerfreundlicher Fahrer an. Wir nehmen zu Fuß den Weg nach Mazama Village, einem etwas größeren Campingplatz, weil wir dort ein Essenspaket hingeschickt haben. Danach wollen wir von dort zum Aspen Inn per Anhalter fahren. So der Plan.
Wir kommen gegen 17 Uhr am Campingplatz an, schnappen unser Paket und kaufen in dem kleinen Laden noch für teuer Geld etwas zum Abendbrot ein. Dann ziehen wir los, um den Daumen rauszuhalten.
Wir stehen noch nicht lange an der Straße, da kommt die Polizei mit Blaulicht und sagt uns, dass sie uns leider nicht mitnehmen dürften. Ach so. Wir dürften im Nationalpark den Daumen raushalten, aber er würde uns bitten, etwas weiter die Straße runter zu gehen, da könnten die Autos besser halten. Leider fahren kaum noch Autos und als wir gerade fast schon ratlos aufgeben, hält doch noch jemand. Der Typ kommt gerade von der Arbeit, er betreut als Biologe die Wasserqualität vom Crater Lake. Wie spannend. Er fährt uns direkt zum Aspen Inn und wir sind so happy über diese Fahrt.
Die Überraschung ist groß, als wir beim Einchecken hören, dass Wildlife und Bear Can noch nicht da sind. Wie bitte, wo stecken sie denn? Ist bei ihnen etwas passiert? Wir hören später, dass am Café keiner angehalten hat und dass sie dann auch noch nach Mazama Village gelaufen sind. Oh mann, was für ein Trip für die beiden, in diesem angeschlagenen Zustand.
Zum Glück gibt es in Mazama Village WLAN und wir können mit den beiden arrangieren, dass wir sie irgendwie abholen werden. Die Besitzerin vom Aspen Inn leiht uns unfassbarerweise, netterweise ihren alten Pickup und 2Tall fährt los, um die beiden mit Sack und Pack abzuholen.
Ich warte im Motel und werde bald schon sehr unruhig, weil es doch eine ganze Zeit dauert, bis sie zurückkommen. Leider ist der alte Truck etwas zickig und bockig, wenn das Licht eingeschaltet wird, aber mit letzter Kraft rollt er zurück zum Hotel, und dann verreckt die Kiste. 2Tall ist die meiste Strecke im Dunkeln ohne Licht gefahren, damit die defekte Elektrik das alte Auto nicht unterwegs im Nirgendwo lahmlegt!
Ich bin so froh, dass alle hier sind, fast wohlbehalten, völlig alle und verschwitzt von den letzten Tagen und mit deutlichem Gewichtsverlust bei Bear Can und Wildlife. Wir sortieren uns in unserer kleinen "Nur-Dach-Cabin", trinken noch ein Bier zusammen, dann fallen wir in unsere Betten.
Dieser besondere Tag geht, glaube ich, in die Hikergeschichte von mindestens vier Menschen ein. Happy trails!
(Good Grip, 14.9.2021)