Unsere Unterkunft in Sisters ist teuer, aber auch gut. Es gibt sogar ein kleines Frühstück und der Kaffee ist mal eine leckere Ausnahme zu unserem plörrigen, löslichen Gebräu, das wir auf dem Trail trinken. Wir schlafen in zwei riesigen Betten und kommen uns fast ein wenig verloren vor, soviel Platz haben wir ja noch nicht mal zu Hause.
An unserem Zero Day (Null Meilen) müsen wir zwar einen Großeinkauf für zwei Pakete und den kommenden, sieben-tägigen Abschnitt machen, trotzdem erholen wir uns auch ein wenig. Unsere Paketaktion klappt deswegen gut, weil sich zwei Supermärkte um die Ecke vom Hotel befinden und auch der UPS Store in fußläufiger Nähe ist.
Per Anhalter geht es am Morgen zum Santiam Pass. Wir warten keine zehn Minuten und sind mal wieder so dankbar über die hilfsbereiten, hikerfreundlichen Menschen hier. Der Himmel ist strahlend blau und es herrscht eine fantastische Sicht. Auf dem Weg treffen wir nette Thruhiker und unterhalten uns über die Luftqualität während der Feuer. Ein Pärchen erzählt uns, dass sie nicht nur mit Maske gewandert sind, sondern sogar mit ihr im Zelt geschlafen haben. Ich hoffe, das uns so etwas nicht blüht. Aber der Rauch von den Feuern in Kalifornien weht über hunderte Kilometer weit sogar bis nach Oregon.
Kurz vor unserem Zeltplatz werden wir von Tageswanderern informiert, dass dort schon ein deutsches Paar ist. Wir sind überrascht, dass wir mal wieder Deutsche treffen und sind schon gespannt. Nach 10 Meilen haben wir dann auch genug, denn die Rucksäcke sind mit dem prall gefüllten Essenbeutel extrem schwer. Glücklicherweise gibt es in der Nähe den Washington Pond, der auch noch Wasser hat. Unsere neuen deutschen Trailfreunde helfen uns, die Wasserstelle zu finden, denn sie ist ein bisschen abseits vom Weg.
Wir gesellen uns zum Abendessen zu dem Pärchen und erzählen von unseren Erlebnissen sowohl in Mexiko, Seattle als auch vom PCT. Sie kommen aus Chemnitz und haben schon lange davon geträumt, auf einen Weitwanderweg in den USA zu gehen. Aber sie haben auch schon andere tolle Reisen unternommen und können so einiges berichten. Wir sehen zusammen wunderschönes Abendlicht auf den Mount Washington und auf die gelbe Wiese scheinen, die ihm zu Füßen liegt. Was für ein idyllischer Abend mit so angenehmer Unterhaltung und Begleitung.
Die Nacht ist sehr windig und bringt uns einige Sandkörner ins Zelt. Leider ist es am Morgen auch sehr rauchig und die Landschaft in der Ferne kaum auszumachen. Um kurz nach acht Uhr starten wir wieder dick eingepackt nach einer eisigen Nacht, und müssen erstmal durch ein abgebranntes Gebiet. Von den "burn areas" gibt es einige hier in Oregon und es wird klarer, warum absolut kein Lagerfeuer erlaubt ist.
Und dann können wir schon bald den nächsten spannenden Abschnitt sehen. Lavafelder. Schon nach kurzer Zeit melden unsere Füße Alarm. Die Lavasteine sind zwar nicht sehr spitz oder scharf, aber wir rutschen, finden nicht immer Halt und müssen uns bei jedem Schritt sehr konzentrieren. Mein Vorfuß, der in den allerersten Tagen in Washinhgton sehr mit Blasen irritiert war, fühlt sich so empfindlich an, dass ich mal lieber etwas drauf klebe, bevor ich mir wieder irgendetwas wund laufe. Wir können froh sein, dass es nicht zu heiß ist, das wäre mitten in diesen schwarzen Feldern eher eine Grilltour.
In der Nähe der Straße, die wir kreuzen müssen, steht ein wenig Trailmagic herum. Ein paar Wasserflaschen, aber auch eine Dose Ingwerwasser und Bier. Das Ingwerwasser trinken wir sofort, das Bier nehmen wir uns für den Abend mit. Es hätte auch zwei Fläschchen Wodka mit Zitrone gegeben, aber die lassen wir gerne für andere Hiker stehen.
Es ist heute viel los auf dem Trail, denn es ist ein langes Wochenende mit Labour Day am Montag und die Leute zieht es mit Hund und Kind nach draußen. Dann kommt uns ein Ranger entgegen, der unsere Permits sehen will. Er ist zwar freundlich, wirkt aber tatsächlich wie ein etwas engstirniger Kontrolleur. Er guckt sich mein Permit ganz genau an, ohne es zu berühren. Ich würde ihm auch noch den Pass zeigen, aber er belässt es dabei. Komischer Typ und komische Aktion.
Leider macht 2Talls Brustwirbelsäule Beschwerden und er nimmt dann doch Schmerzmittel, um die letzten Meilen einigermaßen zurecht zu kommen. Wir müssen nochmal einige Höhenmeter kraxeln und schnaufen nicht schlecht. Ich bin ko und hoffe, dass die Quelle, an der wir zelten wollen, bald in Sicht ist.
Als wir ankommen, ist das deutsche Pärchen von gestern nicht da. Komisch, ich hatte sie so verstanden, das sie hier auch zelten wollten. Aber sie sind offenbar noch weiter gegangen. Auch ok.
Wir legen erstmal das Bier ins kalte Quellwasser, damit es angenehme Trinktemperatur bekommt. 2Tall scoutet nach einem schönen Zeltplatz. Nach 15.5 Meilen sind wir kaputt und zischen uns erstmal das kühle Bierchen rein. Lecker.
Am Abend kommen noch drei Thruhiker, die aber lieber unter sich sein wollen und etwas abseits zelten. Sie palavern noch ziemlich laut, machen aber um 20 Uhr, pünktlich zu "hikers midnight" Schluss. Ich höre später noch einiges Geröll den Berg runter krachen. Erst kann ich das Geräusch gar nicht so richtig einordnen, aber das muss Geröll sein. Zum Glück ist es weit genug weg und wird uns nicht gefährlich, hoffe ich jedenfalls.
Wir sind am nächsten Morgen super schnell mit unserer Zelt-Abbau-Frühstücks-und Einpackroutine, denn um kurz nach 8 Uhr sind wir auf dem Trail. Noch gibt es blauen Himmel, aber in der Ferne ist der Rauch zu sehen. Wir laufen noch etwas durch Geröll und unsere Füße und Beine sind von dem gestrigen Tag noch nicht ganz wieder hergestellt. Ich habe an kleinen Steigungen zu kämpfen und brauche einige Meilen, um mich einzulaufen. Aber der Weg ist mal wieder ein Träumchen. Wir kommen an einer eiskalten Quelle und etwas später noch an einem Wasserfall vorbei, was will man als Wanderin eigentlich mehr?
Leider nimmt der Rauch immer weiter zu und wir könnnen ihn nun auch riechen. Irgendwann treffen wir auch keine entgegen kommenden Wanderer mehr und wir haben das Gefühl, hier ganz allein zu sein. Die Stimmung ist mit dem Rauch schon sehr speziell und auch die Landschaft verändert sich nochmal. Wir haben neben uns eine riesige Lava-Geröllwand und vor uns erstreckt sich eine Mondlandschaft, durch die mitten hindurch der Weg zieht. Wir können ihn über eine weite Strecke einsehen.
Vereinzelt liegen Pferdeäppel herum, aber von den haarigen Vierbeinern fehlt jede Spur. Noch ein Stück durch den Wald, dann kommen wir an den Sisters Mirror Lake, wo schon ein bekanntes Zelt steht. Nach 17 Meilen sind wir, aber auch unsere Fußsohlen, etwas durch.
Wir essen gemeinsam mit den beiden Chemnitzern zu Abend und lassen den etwas rauchigen Tag hier am See ausklingen. Es stehen noch ein paar andere Zelte herum, aber für das verlängerte Wochenende ist es erstaunlich ruhig.
Am Morgen strahlt die Sonne über den See. Der Rauch hat sich über Nacht verzogen und die Luft ist wieder klar. Wir brauchen heute etwas länger, der Tag gestern hängt uns wohl doch noch etwas in den Knochen.
Leider ist der Dunst in der Ferne doch so stark, dass wir von den drei Schwestern kaum etwas sehen. Schade, denn wir können uns gut vorstellen, wie spektakulär es ohne den Rauch aussehen könnte.
Dann muss ich ganz stark sein, denn wir kommen an einem Abzweig, wo man in 1,5 Meilen zu einem Resort gehen kann. Da würde es auch warmes Essen geben. Meine Gedanken drehen sich heute ausschließlich ums Essen und ich hätte gerne irgendetwas Warmes zu mir genommen. Aber ich kann 2Tall nicht überzeugen, er hasst "side trips" und dieser wäre auch noch mit einigen Höhenmetern verbunden gewesen. Ich denke noch lange darüber nach, was ich mir alles bestellt hätte... hmmm.
Etwas später treffen wir mal wieder einen Wanderer, den wir bei unserem ersten Trailmagic kennengelernt haben. "Jigsaw" wird noch diese letzte Section bis zu den Lavafeldern gehen, dann hat er den PCT vervollständigt. Glückwunsch!
Jigsaw ist deutlich älter als wir, größer als 2Tall und sehr dünn. Er berichtet uns, dass er nur ungefähr 260 Meilen am Stück gehen kann, denn dann nimmt er zu stark ab und es geht ihm dann einfach schlecht... Das kann ich sehr gut verstehen. Er fährt dann ein paar Tage nach Hause, gönnt sich Kalorien und Schlaf und ist dann wieder wanderparat.
Der Rauch nimmt zum Nachmittag wieder deutlich zu und hängt sogar in den Bäumen. Als wir schräg am Hang entlang gehen, haben wir den Eindruck, als würden wir in den Wolken sein. Das haben wir in Washington ja ein paar Mal erlebt, nur damals war es kalt und regnete immer leicht. Hier ist es weiterhin sehr angenehm warm. Ein komisches Gefühl bleibt aber trotzdem. Leider merke ich heute auch ein Kratzen im Hals, was sicherlich von dem Rauch kommt.
Am Mac Lake, nach 17 Meilen, machen wir Schluss für heute und sehen schon das Zelt von den beiden Deutschen. Inzwischen haben wir ihnen auch Trailnamen gegeben. Da sie beide recht große Bärenkanister dabei haben, heißt er "Bear Can", und sie heißt "Wildlife", denn sie hatte hier auf dem Trail große Bedenken wegen Bären, Schlangen und Pumas. Spannenderweise haben die beiden heute, an ihrem Hochzeitstag, auf einer größeren einsehbaren Fläche einen Wolf gesehen!
Wir verbringen wieder einen schönen, gemeinsamen Abend. Leider darf man ja kein Lagerfeuer machen, aber das wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen.
Der Morgen an diesem See ist magisch und die Stimmumg besonders. Denn über dem Wasser liegt Nebel und die Sonne kommt vorsichtig durch die Tannen am Ufer. Es ist ein wunderschönes Bild und ich kann es kaum glauben, dass wir hier in dieser Natur sein dürfen.
Bear Can und Wildlife sind schon um 7:30 Uhr auf dem Trail, sie sind immer super zeitig fertig. Wir kommen ungefähr 30 Minuten später los und können direkt in kurzen Hosen starten, weil es schon warm und absolut windstill ist. Der Weg führt heute mal durch Wald, aber dann auch an vielen Seen und Ponds vorbei. Es gibt vereinzelt mal eine Mücke und wir wollen uns gar nicht vorstellen, wie die Situation vor ein paar Wochen für die Northbounder hier gewesen sein muss. Die Armen müssen hier gefressen worden sein.
Manche Seen laden absolut zum reinspringen ein und wir entscheiden, dass wir heute nur noch bis zum nächsten größeren See gehen, um dann einen ruhigen Nachmittag dort zu verbringen. Wir sind ko und müde und brauchen etwas Erholungszeit. Der See ist zwar nicht ganz so schön, aber wir suchen uns ein Plätzchen und waschen uns mal etwas.
Am Ufer entdecke ich eine tote Schlange, die mich erstmal aus dem Konzept bringt, aber 2Tall vermutet, dass ein Greifvogel sie hier verloren hat. Na dann...
Nach einigen Minuten kommen zwei Standup Paddler vorbei, die hier in der Nähe ein paar Tage zelten. Das sieht in dieser Wildnis schon etwas bizarr aus mit den Boards. Sie bleiben eine ganze Zeit in der Nähe des Ufers und unterhalten sich mit uns.
Nach einer sehr ruhigen Nacht starten wir sehr erholt, aber leider wieder mit mächtig Rauch in der Luft. Trotzdem ist die morgendliche Stimmung an so einem See unbeschreiblich schön.
Der Wandertag beginnt wieder mit einer großen "burn-area" und wir sind froh, dass wir das gestern nicht mehr bei der Hitze gelaufen sind. Am Charleston Lake treffen wir zwei Fliegenfischer, ansonsten ist es sehr ruhig, nur eine geschnitzte Figur schaut etwas grimmig über den See.
Wir entscheiden uns, heute den langen Tag zu machen, um dann am nächsten Tag gemütlich zum Lunch in Shelter Cove einzulaufen. Der Weg hilft uns sehr dabei, denn er verläuft einigermaßen wandererfreundlich. Leider warte ich etwas zu lange mit dem Mittagessen und ich bekomme einen ganz miesen Hungerast. Ich glaube, ich habe auch etwas knapp mit meinem Essen kalkuliert. Ich komme richtig mies drauf und eine ggg (grumpy good grip) will ja keiner, auch ich nicht.
Nach 18,8 Meilen, das sind tatsächlich über 30 km, kommen wir an den Rosary Lakes an. Wir sind auf diesen langen Tag echt stolz, soviel sind wir schon lange nicht mehr gewandert. Auf der Fläche zwischen den Seen steht schon ein Zelt und wir gesellen uns zum Abendessen zu Tortoise. Er ist ein Original mit seinem langen Bart und er hat viel zu erzählen. Aus seiner Sicht sind die meisten Amerikaner sehr konservativ und frauenfeindlich, deswegen hat Hillary Clinton die Wahl nicht gewonnen. Interessant, wieder etwas gelernt.
Am Morgen haben wir wieder Asche auf dem Zelt und es ist sehr rauchig. Schade. Wir rollen quasi nach Shelter Cove, es sind nur noch 6 Meilen und es geht viel bergab. Kurz vor dem Resort weisen uns Mitarbeiter daraufhin, dass das Restaurant geschlossen sei. Mir entgleisen tatsächlich etwas die Gesichtszüge, aber dann grinsen sie und verraten, dass es nur ein Scherz sei. Solche Späße finden wir nach sechs Tagen Wildnis gar nicht lustig. Mit Bear Can und Wildlife, die ja schon seit gestern hier sind, sitzen wir auf der Porch und genießen einen Frühstücksburrito und Pfannkuchen. Oh mann, das tut gut. Ich esse drei riesige Pancakes und bin tatsächlich richtig satt danach.
Wir duschen, waschen und hängen etwas bei den anderen Hikern herum. Was für ein Tag! Vielleicht verbringen wir hier noch einen Ruhetag, vielleicht gehen wir morgen schon weiter. Wir wissen es noch nicht und werden morgen spontan entscheiden.
(Good Grip, 8.9.2021)