Nach dem Wochenende "im Himmel" bei den allerliebsten Trail Angels werden wir auch noch mit dem Auto zum Stevens Pass gefahren. Wir sind so dankbar, dass unser Trail Angel uns noch vor seinem Arbeitsbeginn dorthin fährt. So haben wir einen vollen Tag zum Wandern. Danke! Ihr seid einfach toll!
Auf dem Parkplatz attackieren uns sofort die Mücken und wir bekommen einen ersten Eindruck vom Wildlife hier. Wir laufen durch das Skigebiet, unterqueren diverse Skilifte und treffen immer mal wieder auf kleine Streifenhörnchen.
Diverse Sectionhiker sind unterwegs. Bei einer Begegnung rutscht ein älterer Herr weg, den Hang herunter, weil er einen kurzen Moment abgelenkt ist, er bleibt dann aber in dem struppigen Gebüsch hängen. Mann, das hätte schief gehen können. Ein blutiges Knie und ein gehöriger Schreck bei allen bleibt. Der Trail ist nicht nur hier sehr schmal und die Ränder weich, rutschig und steil. Wir müssen bei jedem Schritt aufpassen, und wieder mal fragen wir uns, wie das hier möglich sein soll, mit Pferden diesen Weg zu gehen. Ich finde es extrem waghalsig bis unmöglich.
14 Meilen laufen wir bis zum Glacier Lake, wo schon einige Zelte stehen. Das ist ein sehr idyllischer Ort, die Berge spiegeln sich im Wasser und leuchten in der Abendsonne, wow! Es ist fast zu kitschig, um wahr zu sein.
Wir finden noch ein Plätzchen neben einer Wanderin, die anlässlich ihres 50. Geburtstags auch die Section von Stevens Pass bis Snoqualmie Pass geht, und zwar alleine. Spannend. Sie hat, unfassbarerweise, einen kleinen Campingstuhl dabei... ts, ts, ts, diese Sectionhiker!
Unsere Füße und Beine sind weiterhin noch nicht so gut trainiert und am nächsten Tag merken wir, wie langsam wir mit den schweren Rucksäcken am Berg sind. Aber diesmal gibt es auch einige gerade Strecken mit tollem Waldboden, die wir sehr genießen und wo wir sogar etwas Kilometer machen können.
Leider gibt es am nächsten größeren Fluss keine Brücke und wir müssen irgendwie durch. Die dünnen Tannenbäumchen, die da quer liegen, sehen nicht unbedingt vertrauenswürdig aus. Wir gehen etwas flussabwärts, wo sich zwei Jungs gerade die Schuhe wieder anziehen. Sie sind durch das Wasser gegangen. So machen wir es auch. Es dauert zwar immer länger, alles aus- und wieder anzutüddeln, aber das ist eindeutig die sichere Variante. Mit der starken Strömung ist das noch spannend genug, denn auf den rutschigen Steinen haben wir kaum Halt und das Wasser drückt enorm gegen die Unterschenkel. Außerdem geht uns das Wasser fast bis zum Knie. Ich bin dankbar um meine Stöckchen, die mir mal wieder einen sehr guten Dienst erweisen.
Nach dem "Rivercrossing" geht es erstmal wieder lange bergauf und wir sind schon ziemlich am Ende, als wir oben ankommen. Es gibt einen kleinen Pond und einige Zeltplätze, trotzdem fühle ich mich hier nicht so wohl und möchte zum nächsten See gehen. It is all downhill from here, aber das ist ja nicht unbedingt weniger anstrengend.
Am Ende des Tages haben wir 15 Meilen erwandert, sind absolut platt und treffen wieder die Dame vom letzten Zeltplatz. Sobald wir stehen bleiben werden wir von Mücken angegriffen. Es gibt immer noch eine Steigerung von diesen Blutsaugern. Den Kopf und Hals können wir mit unserem Kopfnetzen schützen, aber die Hände und auch die Fußgelenke sind den Viechern komplett ausgeliefert. Aufgrund dieser Mördermücken essen wir inzwischen im Zelt, was man eigentlich überhaupt nicht machen soll, weil man dadurch Tiere anlocken könnte. Aber wenn sich bei jedem Bissen die Anzahl der Stiche vervielfacht, ist das Essen draußen nur Stress.
Wer unser winziges Zelt kennt, weiß, dass es eine logistische Herausforderung ist, darin entspannt zu zweit sein Süppchen zu löffeln. Es macht uns auf alle Fälle gelenkig und flexibel, aber gemütlich ist anders.
Der Weg in Richtung Snoqualmie Pass ist sehr beliebt. Wir sind fast nie allein unterwegs und der übliche Spruch bei jeder Begegnung: "How are you doing today?" kommt mir schon ziemlich absurd vor, denn eigentlich will es ja keiner wirklich wissen, wie es einem mit seinen Befindlichkeiten von Anstrengung, Dreck, Gestank und Müdigkeit geht. Wir machen das Spielchen aber brav mit, sind höflich und antworten immer gleich mit der entsprechenden Gegenfrage.
Wir laufen am dritten Tag nur 12 Meilen und sind schon relativ früh an einer inoffiziellen Campsite. Aber auch hier sind wir nicht allein, es kommen zum Abend noch weitere Leute, die ihr Zelt in der Nachbarschaft aufschlagen. Vor dem Zelt neben uns ist zusätzlich ein riesiges Moskitonetz aufgespannt. Dort können die Leute in Ruhe kochen und essen, wow, was für ein Luxus. Das müssen Sectionhiker sein!
Die Landschaft ist weiterhin traumhaft und dabei merken wir "fast nicht", wie viele Höhenmeter es hoch oder runter geht. Toll sind auch die Brücken, die uns sicher über die reißenden Flüsse bringen, ich liebe sie. An diesem Tag überqueren wir zwei.
Der vierte Tag beginnt am Morgen mit einem langen Abstieg. Zum Einlaufen gar nicht so schlecht. Doch dann brennt die Sonne erbarmungslos und der Weg durch ein Gebiet mit vielen toten, abgebrannten Bäumen und entsprechend wenig Schatten, ist brutal und extrem staubig. Wir quälen uns immer höher und sind erstaunt, dass es zwar ein nicht endender Aufstieg wird, der sich allerdings je höher wir kommen, vom Bodenbelag nochmal ändert. Es gibt wieder Schatten und einen weichen Waldboden, unsere Fußsohlen dürfen wieder durchatmen.
Am Gipfel angekommen versucht 2Tall, im Hotel in Snoqualmie Pass anzurufen, was aber leider nicht gelingt. Es gibt hier einfach keinen Empfang. Wir sind noch zu weit ab vom Schuss. Schade, so müssen wir darauf hoffen, dass wir trotz des anstehenden Wochenendes ohne Reservierung ein Zimmer bekommen.
Wir laufen noch ein Stück bergab, bevor wir an einem See unser Zelt aufschlagen. Ok, die Wasserquelle ist diesmal der See. Nicht so schön kühl wie mancher Schmelzwasserfluss, aber wir sind bei diesen Temperaturen nicht wählerisch und sehr durstig.
Nach einer weiteren Nacht freuen wir uns auf die Zivilisation, denn in ca. 15 Meilen wartet der kleine Skiort Snoqualmie Pass auf uns. Bis dahin wollen aber noch diverse Schotterhänge überquert werden. Die Steine sind rutschig und locker, was es sehr anstrengend macht.
Wir treffen auf einige sehr neugierige Murmeltiere, die wegen ihrer Pfeiflaute schon früher zu hören als zu sehen sind.
Der Weg wird im weiteren Verlauf sehr spektakulär, aber auch wieder heiß und trocken. Leider verkalkulieren wir uns etwas mit dem Wasser, lassen einen Pond aus und müssen dann in einer etwas aufwendigeren Aktion einen Topf Schnee mit unserem Kocher schmelzen. Zum Glück brauchen wir an unserem letzten Tag, nicht mit dem Gas zu sparen.
Die Temperaturen von über 30 Grad schaffen uns, wir brauchen viele Pausen. Aber nicht nur wir kämpfen mit der Hitze, wir treffen auf eine Gruppe Leute, in der ein älterer Herr sehr mitgenommen aussieht und seinen Rucksack nicht mehr selber tragen kann. Puh, wissen die Menschen, was sie tun? Im Nachhinein fragen wir uns, ob wir noch hätten irgendwie helfen können, aber es waren genug erwachsene Menschen in der Gruppe.
Und dann, irgendwann, sehen wir die Interstate und wir tänzeln den Freuden der Zivilisation entgegen. Allerdings haben wir immer noch 5 Meilen vor uns, die kein Ende zu nehmen scheinen. Mann, das zieht sich und unsere Fußsohlen haben schon längst aufgegeben, zu protestieren. Kaputt, müde, hungrig kommen wir im Ort an und steuern direkt auf die Tanke mit den Kaltgetränken zu. Nebenan ist das Summit Inn, ein Motel, wie man es sich aus alten amerikanischen Filmen vorstellt: etwas herunter gekommen, zerschlissene Teppiche, mit dem Charme der 80er Jahre. Aber ein Bett, eine Dusche, eine Klimaanlage, Wlan, mehr braucht der gemeine Hiker nicht. Und vielleicht noch eine Waschmaschine...
Das besondere an diesem Hotel ist, dass man sich seine Verpflegungspakete hier her schicken kann. Hinter der Rezeption stapeln sich die Pakete, und auch unsere beiden erblicken wir schnell. Man kann in der Tankstelle und in einem kleinen Laden nicht alles bekommen, deswegen schicken sich die Wanderer ihr Zeug hier hin.
Allerdings brauchen sie auch nicht alles, und auf einem großen Wühltisch kann man diverse Sachen finden, die zurück gelassen wurden. Solche sogenannten Hiker Boxes gibt es immer mal wieder an Übernachtungsorten, wo man oft ganz besondere Dinge finden kann, unter anderem Sonnenbrillen, alte Wanderstöcke, Tampons oder selbstgemachte Müsliriegel, die Vielfalt ist enorm.
Wir buchen uns für 2 Nächte im Summit Inn ein, schmeißen nur kurz unsere Rucksäcke ins Zimmer und gehen verdreckt und verschwitzt wie wir sind direkt ins Restaurant. Burger, Fritten und Ketchup, wir sind nicht anspruchsvoll und genießen es.
Nach dem Essen und einer ausgiebigen Dusche können wir wieder klar gucken und sind stolz, dass wir es "fast" heile geschafft haben. Es gibt ein paar wenige neue Blasen und müde Muskeln. Aber es ist auch ein tolles Gefühl, dass wir durch diese beeindruckende Landschaft gewandert sind.
(Good Grip, 31.7.2021)