Am Morgen nehmen wir den Bus zurück zur High Bridge, natürlich nicht ohne nochmal an der Bäckerei vorbei zu fahren, und uns mit den berühmt berüchtigten Zimtschnecken für den Weg einzudecken. Sie sind ungefähr so groß wie ein Mühlrad und den Zuckergehalt oder die Anzahl der Kalorien ignorieren wir einfach mal.
Wir halten noch ein kleines Schwätzchen mit dem Ranger, beobachten ein Reh und ziehen dann los. Wir sind zuversichtlich, und auch wenn der Weg stetig bergauf geht, genießen wir die riesigen Bäume und das Flüsschen neben dem Wanderweg sehr. Es kommen uns immer mal wieder Sectionhiker entgegen, die zu gut riechen, als dass sie Thruhiker sein könnten.
Zum Mittag futtern wir unsere Zimtschnecken, die es in sich haben. Unter normalen Umständen hätten wir das nicht essen können bzw. dürfen, aber das sind die Vorteile des Wanderns. Kalorien sind ausdrücklich erwünscht.
Nach gut 11 Meilen erreichen wir eine Campsite am Wasser. Ich bin schon ziemlich ko, die Füße schmerzen sehr, neben der offenen Sohle kommt noch ein schmerzhafter Unterschenkel dazu, weil ich wie auf Eiern laufe. Hier wird allerdings empfohlen, nicht zu zelten, denn die vielen toten trockenen Bäume könnten bei Wind umfallen.
Also geht es weiter, allerdings müssen wir erst den Fluss überqueren, was wir auf einem umgestürzten Baumstamm machen können. Das ist aber gar nicht so ohne. Die Höhe des Stammes und die starke Strömung unter uns lassen uns ruhig werden. Hoch konzentriert balancieren wir über den Baum und sind erleichtert, als wir wieder festen Boden unter den Füßen haben.
Bis zur nächsten Campsite sind es noch fast 4 Meilen, die es in sich haben. Der Trail ist zugewachsen, es geht bergauf, die Wegränder sind rutschig und meine Füße geben mir bei jedem Schritt die Rückmeldung, dass sie für heute eigentlich schon lange genug haben. Nach unendlich vielen Schritten und literweise Schweiß kommen wir an der Campsite an, wo wir endlich übernachten können. Zwei Sectionhiker sind schon da, die gerade essen und uns herzlich begrüßen. Wir bauen unser Zelt auf, kochen und versuchen dann noch, in unsere Blasen Fäden zu ziehen, damit über Nacht die Flüssigkeit ablaufen kann.
Der nächste Morgen startet nicht weniger schmerzhaft, uns tun die Knochen weh, aber wir raffen uns auf und starten noch vor dem Pärchen, was noch gemütlich in den Schlafsäcken liegt. Kurz nach der Campsite müssen wir durch einen kleinen Fluss waten, der aber so tief ist, dass wir unsere Schuhe lieber ausziehen. Dann geht es bei sengender Sonne weiter, leider werden wir bei jeder Pause von Mücken oder beißenden Fliegen attackiert, was mich total stresst. Mit Windjacke und Kopfnetz geht es, so ist es aber natürlich auch entsprechend warm. Im nächsten Bach rutsche ich von einem Stein ab und habe komplett nasse Füße, was mich ärgert, denn es war eigentlich überhaupt nicht schwierig, trocken über diese kleine Rinne zu kommen. Dann stoßen wir auf unser erstes größeres Schneefeld, was wir leider zu weit umgehen, so dass wir einmal komplett außen herum kraxeln und dann viel zu weit oberhalb des Trails ankommen.
Es ist eine Qual für mich, ich bin völlig ko und wir machen nach nur 8 Meilen eine längere Pause und beschließen etwas später, hier zu übernachten. Ich bin so frustriert, fühle mich schlecht und habe das Gefühl, die Bremserin zu sein. Nach einer längeren Pause und Kühlung meines Unterschenkels, überlegen wir, wie es weiter gehen kann. Denn ich bin mit meinen Blasen und den Schmerzen im Bein extrem langsam. Wenn wir unser Essen strecken würden, könnten wir es vielleicht in 7 Tagen schaffen, zu Stevens Pass zu kommen.
2Tall geht erstmal Wasser holen und mir wird in der Zeit klar, dass das nicht funktionieren kann. Ich habe keine Kraft mehr für weitere sieben Tage mit diesen Blasen und mein Unterschenkel ist definitiv geschwollen. Das kann nicht klappen. Als mir das klar wird, fließen viele Tränen, denn ich habe das Gefühl, versagt zu haben, die Tour zu sprengen und alles kaputt zu machen.
2Tall und ich reden viel, sind traurig und entscheiden, am nächsten Tag denselben Weg zurück nach Stehekin zu nehmen. Von dort wollen wir dann gucken, was möglich ist, denn es ist erstmal eine längere Pause zur Erholung angesagt.
Am Abend kommt noch der Wanderer, den wir am Flughafen in Seattle getroffen haben. Er ist bis zur Grenze Kanadas gelaufen und macht lange Tage mit über 30 Meilen (48km)! Aber jetzt merkt er schon manchmal seine Knie... Wir wünschen ihm viel Glück für sein Vorhaben, den ganzen PCT in weniger als 100 Tagen zu schaffen.
Für uns gehts am nächsten Tag zurück zur altbekannten Campsite. Wir treffen unterwegs zwar noch eine Gruppe, die uns eine Alternativroute nennt, aber die würde über ein großes Schneefeld mit vielen Höhenmetern führen, was wir uns in dieser Situation einfach nicht zutrauen. Mit Schmerzmitteln kann ich einigermaßen laufen und wir kommen so gut voran, dass wir am nächsten Tag den Bus von High Bridge zurück nach Stehekin nehmen können. Das Dorf ist deutlich weniger besucht, es ist Donnerstag und der Gruppenzeltplatz fast leer. Es sind außer uns nur noch ein Southbounder und zwei Northbounder da.
Wir gönnen uns im Restaurant ein warmes Essen, duschen im Ort und kaufen uns einen Internetvoucher, um zu recherchieren, wie wir aus Stehekin weg kommen, und was dann möglich ist. Von einem Sectionhiker, den wir auf dem letzten Campground getroffen haben, haben wir schon ein paar Infos erhalten. 2Tall fragt auch bei Facebook an, ob es Trail Angel gibt, die helfen könnten.
Und es ist kaum zu fassen, denn wir bekommen ein Angebot von einem jungen Paar, die in Wenatchee wohnen und uns für ein paar Tage aufnehmen würden. Wie wunderbar ist denn das? Es gibt sie, die helfenden Engel, die plötzlich zu einem fliegen, wenn man sie braucht!
Wir buchen noch zwei Plätze auf der Fähre, die uns über den See nach Chelan bringt, und können dann etwas beruhigter in unser Zelt kriechen.
Die Fährfahrt am späten Vormittag ist wunderschön, auch wenn der Frust über die abgebrochene Wanderung immer mal wieder bei mir hochschwappt. Wenn ich allerdings in meine Fußsohlen und in mein Bein spüre, merke ich deutlich, dass dies die richtige Entscheidung war.
Wir werden direkt am Fähranleger abgeholt, und können es kaum glauben, wie hilfsbereit unsere beiden Trail Angel sind. Sie wohnen in einem tollen Haus und sie öffnen einfach ihre Türen für uns. Wir sind so dankbar!
Können wir das jemals wieder gut machen? Ich glaube nicht, denn wir fühlen uns hier wie im Paradies. Wir werden mit leckerstem Essen versorgt, erhalten Medikamente, dürfen sogar das Auto benutzen, um einkaufen zu fahren, und haben zusammen gute Gespräche und einfach eine tolle Zeit.
Wir verbringen hier in Wenatchee das ganze Wochenende und wollen am Montag wieder auf den PCT. Die Wunden sind gut verheilt, die Wanderlust wieder voll da. Wir hoffen, dass wir auf dem nächsten Abschnitt etwas besser zurecht kommen!
Happy healthy trails :-)
(Good Grip, 25.7.2021)