Wir ziehen wieder los. Nachdem wir gute drei Wochen zu Hause waren, packen wir unsere Taschen und machen mit unseren Drahteseln eine Tour durch Niedersachsen und Schleswig-Holstein, denn das sind die Bundesländer, die inzwischen wieder Gäste beherbergen dürfen.
Zuerst geht es zu Freunden an die Wurster Nordseeküste. Wir radeln auf dem alten Postweg 80km gen Norden und unsere Hintern beschweren sich am Abend mächtig. Auch der Wind und die kühlen Temperaturen fordern uns, aber es ist toll, wieder unterwegs zu sein.
In Bremerhaven müssen wir etwas Slalom um schwerhörige Senioren und unerzogene Hunde machen, aber es läuft glücklicherweise alles ohne Unfälle ab.
Wir verbringen bei unseren Freunden einen wunderschönen Abend und ich kann mich an dem kleinen Ludwig kaum satt sehen, bei so einem tapsigen Welpen geht mir das Herz auf.
Am zweiten Tag unserer Tour haben wir glücklicherweise Rückenwind am Deich, und wir fliegen nur so dahin. Es sind an diesem Himmelfahrtstag einige Familien mit Bollerwagen unterwegs, aber wir treffen auf keine grölende Vatertagstour... Wir vermissen nichts.
Geplant sind für diesen Tag eigentlich 70km bis zur Seefelder Mühle, aber der Tag gestern hat uns etwas die Energie geraubt, und schon auf der Weserfähre in Blexen beschließen wir, eine Abkürzung zu nehmen, so dass wir am Ende nur auf 57km kommen.
Die Unterkunft an der Mühle ist sehr gemütlich und wir haben auf der Toilette sitzend einen Blick auf diese wunderbaren weiten Flügel, schick.
An unserem dritten Tag legen wir wieder etwas an Kilometern zu, auch wenn wir während des gesamten Tages frieren und mindestens vier Schichten tragen. Ich bin so froh, dass ich noch meine Handschuhe eingepackt habe, denn der Gegenwind ist eisig. Wir radeln durch plattes Land und der weite Blick ist wohl auch kontemplativ, aber mit diesem Wind auf dem Rad einfach nur fies. Ja, es sind die Eisheiligen, das darf so sein, wissen wir. Tatsächlich ist es wärmer, wenn wir mal stoppen und etwas geschützt Pause machen. Das ist dann also der Trick zum Aufwärmen.
Am schwimmenden Moor sehen wir auf dem Parkatz eine kostenlose Corona Teststation. Na dann also mal eben von einem Fremden ein Stäbchen in die Nase gepopelt und ein Papier erhalten, was eventuell die Gastgeberin heute Abend sehen will. (Spoiler: Sie wollte nix sehen...)
Auf einer Wiese entdeckt 2Tall drei Fohlen mit ihren Müttern, die einen herzerwärmenden Anblick bieten. Die Fohlen sind noch sehr jung und trauen sich noch nicht alle so weit weg von Mama. Das älteste Fohlen legt aber irgendwann einen Sprint über die Wiese hin, der es in sich hat. Pferde sind eben doch Fluchttiere.
Einkehrmöglichkeiten gibt es an diesem Tag tatsächlich auch, aber im Rhododendron-Park würden wir den Altersdurchschnitt enorm nach unten ziehen und in der etwas weiter entfernten Cowboylandschaft nach oben. Das passt irgendwie nicht für uns und deswegen nutzen wir erst kurz vor Ende der Tour den Supermarkt, um unsere Gelüste nach Süßkram und Kaffee zu befriedigen.
Die Gastgeberin in Detern freut sich sehr, uns Radler zu sehen und hofft natürlich bald wieder auf Kundschaft. Sie fragt mich, ob ich schon mal bei ihr übernachtet hätte, ich würde einer anderen Dame sehr ähnlich sehen. Ihr könnt es euch vielleicht nicht vorstellen, aber das ist mir schon so oft passiert. Ich habe wohl ein Gesicht, was sich deutschlandweit vervielfacht hat, denn auch in Bonn habe ich das schon erlebt. Es ist ein komisches Gefühl, bin ich denn etwa kein Individuum?
Der nächste Morgen beginnt mit einem heftigen Schauer und unsere Stimmung ist doch eher verhalten. Mal sehen, wieviel Wasser wir von oben abbekommen. Wir radeln an der Jumme entlang, lauschen den blökenden Schafen auf dem Deich und freuen uns auch hier über die vielen Lämmer. Fruchtbarer Frühling in Norddeutschland eben.
Mit sehr angenehmen Rückenwind gehts über diverse Autobahnen und irgendwann sind wir an der Ems und radeln auf der Kreuzfahrtroute. Es gibt immer mal wieder eiserne Silhouetten von dicken Pötten, die wohl zur Erheiterung der Menschen aufgestellt wurden, denn außer Deich und Gegend gibts eher wenig Abwechslung. Bei mir hats mit der Aufmerksamkeitslenkung definitiv geklappt.
In Greetsiel kommen wir an einem riesigen vollen Parkplatz vorbei und sind irritiert über den ganzen Möwen- und Anker-Tinnef, den es hier zu kaufen gibt. Die Straßen sind voll und sogar afrikanische Kunst kann hier gewinnbringend an die konsumfreudigen Touris gebracht werden. Ja, der Lockdown hat die Menschen verändert, hier spüre ich es ganz deutlich.
Der Tag endet mit der Sportschau und einem deftigen Kartoffelsalat, den ich nach diesem Tag einfach kaufen musste. Der "Hikerhunger" kommt schon durch. Legger.
Auch in Greetsiel gibt es eine Teststation, die wir am nächsten Morgen nutzen. Sehr unkompliziert nehmen wir unseren Freifahrtschein entgegen und radeln los.
Der Ort schläft noch und wir freuen uns, dieses Tourinest zu verlassen. Der Himmel ist dunkelgrau bis schwarz und im passenden Moment taucht ein Bushäuschen auf, wo wir den ersten heftigen Schauer aussitzen können. Was für ein Glück, es ist zwar eisig kalt, aber lieber trocken frieren, als das Rinnsal im Nacken spüren. 2Tall braucht eh noch Zeit, um seine Routing App einzustellen. Was aber wohl gar nicht so einfach ist, denn laut Anzeige legen wir unglaubliche Höhen von -350 bis 1280m zurück.
Auf den letzten Kilometern bis nach Jackstede bekommen wir nochmal einen sehr heftigen Guss ab, wir beeilen uns mächtig, kommen dann aber doch ziemlich nass an unserer Unterkunft an. Der Sohn des Hauses zeigt uns alles, ist aber insgesamt etwas lahm und nicht sehr motiviert. Immerhin, in Burhafe gibt es einen Pizzadienst, der bis Jackstede liefert. Das Abendessen ist gerettet, die Klamotten schon wieder fast trocken, so machen Radtouren in Norddeutschland Spaß.
(Good Grip, 19.5.2021)