Wir lassen es uns anderthalb Tage in Kaitaia gut gehen und lesen, essen, duschen und machen exakt einen einzigen Gang zum Supermarkt, bloß nicht mehr. Die Tage am Strand waren anstrengend und wir sind erleichtert und stolz, dass wir es überhaupt ohne größere Blessuren geschafft haben. Bei anderen Wanderern haben wir mächtige Blasen und auch verdickte Sehnen gesehen, was alles sehr schmerzhaft gewesen sein muss. Am Sonntag starten wir um 8.45 Uhr von unserem B&B, lassen uns aber direkt zum Waldeingang fahren und überspringen das 5 km lange Straßenstück. Das schlechte Gewissen kommt kurz auf, denn nun haben wir tatsächlich das erste Mal geschummelt. Aber die Straße zu laufen ist einfach nur nervig. Wir überholen die drei Franzosen und noch einen anderen Wanderer und starten das Abenteuer der ersten Walddurchquerung, den Herekino Forest. Wir klettern erstmal hoch über einige Stufen und durchrutschen schmale Wege mit etwas Matsch. Unsere erste Pause machen wir an einem wunderschönen Plätzchen am Fluß, wo wir auch Wasser holen. Das Wetter ist gut und wir genießen diesen verwunschenen Regenwald mit sattem Grün, riesigen Kauribäumen und Farnen, so groß wie Sonnenschirmen. Es ist ein toller Wald, an dem wir uns nicht satt sehen können. Wir kommen auch ganz gut voran und als es nur noch 2 km bis zum Tramp Inn sind, gönnen wir uns nochmal einen längere Pause, sind ja nur noch ein paar Kilometer, so dachten wir. Die allerdings hatten es nochmal mit 1,5 Std in sich. Da gab es fiese Matschpassagen, rutschige und steile Hänge, an denen man sich allerdings abseilen konnte (das Seil gehört quasi zum Trail) und natürlich Wurzeln ohne Ende. Das war nochmal ein Leckerchen zum Schluss und entsprechend dreckig waren wir, als wir aus dem Wald heraus traten. Diese Etappe verdient die Bezeichnung "Tough Modder" in höchstem Maße.
Das Tramping Inn ist ein zusammen gezimmerter Schuppen, in dem es Stockbetten und Matratzen gibt. Wasser gibt es auch und sogar ein Plumpsklo mit Aussicht. Wir sind froh, ein Dach über dem Kopf zu haben, aber Dreck und die Feuchtigkeit sind uns doch etwas viel. Ich hatte es mir tatsächlich etwas besser vorgestellt. Ok, nehmen, was kommt. Es ist ja schon toll, dass die angrenzende Farm diesen Schuppen mit Wasser und Toilette hier überhaupt hingestellt hat. Man gibt 10 $ quasi als Spende (Koha) und bedankt sich bei den Farmern, auf dessen Land man da schläft. Der Nachmittagsschauer lässt nicht lange auf sich warten und das trockene Plätzchen wird deswegen nochmal besser. Nach einer Weile kommt Steffen an, den wir auch schon in Auckland im Bus getroffen haben. Er ist nicht mit seiner Gruppe weiter gewandert, weil er am Strand heftige Blasen hatte, die er erstmal auskurieren wollte. Er macht seine erste Weitwandererfahrung hier, hat seinen Job gekündigt und ist ans andere Ende der Welt geflogen. Cool.
Die Nacht wird leider alles andere als ruhig, denn ein Possum meint, ausgiebig das Terrain und das Dach zu erkunden und macht dabei ein riesiges Getöse. Die Droppings um den Schuppen sind eindeutig und die kleinen Biester werden mir immer unsympathischer. Am Morgen können wir erstmal nix sehen, denn der Hügel ist komplett im Nebel. Während der Nacht war es wegen des Vollmondes übrigens taghell. Wir laufen aber dann bald in der Sonne und es wird unangenehm heiß, denn heute sind Schotterwege angesagt, die durch abgeholzte Hänge führen, nicht unbedingt Auenland. Wir laufen bald mit Steffen zusammen, der zu uns aufgeschlossen hat, und versuchen, die langweilige Schotterstraße mit Gesprächen zu füllen, z.B. was das Umfeld zu den Plänen eines solchen "Ausstieges" gesagt hat. Bei Steffen waren die Reaktionen mit großem Erstaunen belegt, warum man in seinem Urlaub so etwas tun muss. Wir haben es uns es uns ausgesucht und meistens macht es auch Spaß. Es gibt keine bessere Wahl, sich selbst und die Welt kennen zu lernen.
Da die Waldpassage heftig und ohne Wasser sein soll, entscheiden wir uns, am letzten Flüsschen irgendwo zu campen. Leider ist das eher schwierig, da die Straße nur zu einigen Häusern führt, die von Aussteigern bewohnt werden. Da gibt es einmal das Ecovillage, wo wir versuchen zu fragen, ob Camping möglich ist, aber kein Mensch ist aufzufinden. Dann gibt es einen Rastaman, der uns seine Kuhweide anbietet. Der Spot ist etwas oberhalb des Weges, aber leider finden wir dort kein Wasser und entscheiden uns, wieder abzusteigen, wo der der letzte Bach war. Dort gibt es einen grasbewachsenen Seitenstreifen und sogar einen alten Unterstand, den wir aufsuchen können, als mal wieder der 16 Uhr-Schauer runter kommt. Kurz nachdem wir dort am alten Trecker auf ein paar alten Holzstücken Platz genommen haben, kommt der Besitzer mit seinem 4-Wheel-Drive und bietet uns erstmal Bierchen oder auch was Feines zu rauchen an. Mit seinen Rastalocken, dem Joint und dem Bier wirkt er wie ein Klischee und natürlich hat er einen Hund und er läuft barfuß. Er erzählt viel von sich, aber ist auch sehr interessiert, was wir so machen. Was ein Typ, die Amerikaner würden ihn wahrscheinlich als "Character" bezeichnen. Als er übrigens seine Dose ausgetrunken hat, schmeißt er sie einfach in die Ecke seines Unterstandes und wir wissen nun auch, warum da so viel Müll rumliegt. Es ist alles etwas wild hier, aber die Hunde und Menschen sind sehr feundlich und wir werden nicht weggeschickt. Wir gehen früh schlafen und hoffen, dass wir morgen erholt starten können, denn es soll heftig werden, im Raetea Forest.
Wir machen uns am Morgen früh auf den Weg und kommen bald an die Stelle, wo man noch ohne Wasser hätte campen können. Und sofort danach müssen wir rutschend aufsteigen, denn hier beginnt direkt die Matschpassage, die uns den gesamten Tag begleiten wird. Es wird nicht nur heftig, sondern unerträglich mit dem Matsch, so dass wir nur ein sehr langsames Tempo gehen können und entsprechend zieht sich der Tag. Solche Matschwege haben wir noch nicht gesehen, es ist einfach unfassbar und sowas als Wanderweg zu bezeichnen, finden wir grenzwertig. Es kommt schon ein paar Mal die Frage auf, warum wir das überhaupt machen, aber wir sind ja ganz freiwillig hier. Auf halbem Weg werden wir von Michael überholt, der aus Auckland stammt und den wir schon mal kurz am Strand gesehen haben. Wir schliddern gemeinsam ein Stück durch den Dreck, aber Michael ist deutlich schneller, weil er einfach durch die Matschlöcher durchläuft und nicht wie wir drum herum tänzelt. Wir fluchen, ackern und ochsen uns durch den Schlamm, aber es nimmt und nimmt kein Ende. Nach gefühlten 20 Stunden erreichen wir eine Kuhweide, haben einen Blick ins Auenland und können es kaum fassen, dass wir diesen Teil des Te Araroa überlebt haben.
Leider folgt nach dem Wald noch eine längere Passage auf der Straße. Wir füllen nochmal Wasser auf und machen uns auf den Weg auf dem Highway 1. Als das erste Auto vorbei kommt, halte ich den Daumen raus und der Fahrer (ein Polizist) stoppt. Was für ein Glück, er nimmt uns alle mit (inzwischen laufen wir wieder zu viert), Steffen muss leider hinten auf die Ladefläche des Jeeps. Aber wir kommen alle wohlbehalten gegen 19 Uhr an der Dairy an, wo wir vom Wald angerufen hatten, um uns noch anzukündigen. Sie machen für uns kurz den Laden auf, was absolut großartig ist, und wir hauen uns die Bäuche mit Sandwiches, Chips, Kuchen und Softdrinks voll. Was für ein großes Fressen, aber nach so einem 12-Stunden-Arbeitstag, fühlt sich das so gut an und besonders in dieser netten Gesellschaft. Neben dem Laden gibt es einen Raum, wo ein paar Betten stehen, die wir als Hiker nutzen können, draußen ist ein öffentliches Klo, was will man mehr. Fast ein richtiges Hostel. Wir sind alle hundemüde und um kurz nach 9 Uhr ist das Licht aus. Es fahren zwar noch ein paar Trucks auf der Straße direkt vor unserem Schlafzimmer und manchmal fühlt es sich sogar ein bißchen so an, als würden sie durch den Raum fahren, aber irgendwann schlafen wir, trotz muffiger Hikerluft, Massen an Mücken und Trucks, völlig erschöpft ein. Die gesamte Situation ist schon bizarr, aber irgendwie typisch Trail.
Da wir am nächsten Tag einen relativ kurzen Tag haben, lassen wir es morgens ganz ruhig angehen, frühstücken im Laden und wundern uns, wieviele Leute hier vorbei kommen. Ein wichtiger Stop eben nicht nicht nur für Hiker. Die knapp 13 km auf der Straße zum Apple Dam Campground gehen wegen des Erzählens ziemlich schnell rum. Leider ist der Platz weniger schön als gedacht. Der Wassertank ist leer, die Toiletten sind von Fliegen bevölkert, die Grasflächen sind vorwiegend schief, aber hey, es hat heute noch nicht geregnet und wir haben zusammen eine gute Zeit. Leider hat Michael einen geschwollenen Knöchel, den er auch schon am Strand hatte. Wir gönnen ihm etwas Diclophenac Schmerzgel, empfehlen ihm Ibuprofen, aber er wird wohl nach Auckland zurück trampen und sich dort erstmal auszukurieren. Schade, denn wir sind eine nette Truppe und hätten den harten Tag morgen gerne zusammen gemacht. Wir starten um sieben Uhr und trennen uns am Abzweig von Michael, der nach Hause fahren wird, um sich von seiner Achillessehnenreizung zu erholen. Wir wandern also mit Steffen die Schotterstraße und das steile Stück runter zum Fluß und wechseln in unsere Swiftwater-Crocs, die sich für die Flußdurchquerung perfekt eignen. Wir haben aber auch ziemlich Glück mit dem Wasserstand, denn durch die Trockenheit ist der Fluß sehr flach und wir haben nur eine tiefere Stelle, an der wir bis zum Oberschenkel einsinken. Nach dem schönen Flussabschnitt müssen wir allerdings zum Uferweg wechseln und der geht rauf und runter und hat fiese, schräge Abschnitte. Leider stolpere ich über ein paar Wuzeln und lande auf Knie und Schienbein, doof, denn es schmerzt den ganzen Tag und die Blutergüsse sehen nicht nur doof aus. Steffen hat am letzten Uferabschnitt einfach wieder in den Fluß gewechselt und wir kommen zusammen am Abzweig an, wo wir steil gehen müssen und das schöne Flüsschen verlassen. Das steile Stück ist zwar anstrengend, aber zum Glück nicht mehr matschig. Allerdings begegnen uns nun auf dem Weg ständig tote Possums und Marder, die in den Fallen hängen und einen sehr unangenehmen Duft verströmen. Die Fallen sind so konstruiert, dass die gehängten Viehcher mit dem Kopf in der Falle stecken und der Körper unten aus der Falle heraus hängt. Kein schöner Anblick und hoffentlich ein schneller Tod. Aber Marder und Possums zerstören die heimische Flora und Fauna und werden deswegen massiv bejagt. Als wir auf die Schotterstraße kommen, haben wir noch 9.5 km bis zur Campsite und leider ziehen die sich ewig hin. Wir sind platt und schleppen uns die letzten Kilometer zur Puketi DOC Campsite, wo es tatsächlich auch eine kalte Dusche gibt, die ich nutze. Es sind eine Menge Leute mit ihren Campervans hier und es kommen sogar noch einige Wanderer. Da ist ein Amerikaner aus North Carolina, zwei Franzosen, zwei Tschechen und wir drei Deutschen. Morgen haben wir nochmal 25 km auf der Schotterstraße durch Farmland zu gehen, dann endlich machen wir einen Ruhetag, den wir nach dem Matsch und der Abstrengung auch bitter nötig haben.
Der Tag ist nochmal lang, aber auch sehr abwechslungsreich. Ein bißchen Schotterweg, ein bißchen Farmland mit Schafen und Kühen und am Ende noch ein schicker Wasserfall (Rainbow Falls). 24 km sind nach diesem langen Abschnitt aber einfach anstrengend und immer mal wieder hört man ein lautes Seufzen und Stöhnen aus unserem Wandertrio. Als wir in Kerikeri ankommen, steuern wir Pizza Hut an und freuen uns über die Kalorien, die wir bitter nötig haben. Wir sitzen völlig ausgehungert und erschöpft am Tisch und ziehen uns das warme Essen rein. Das war schon mal eine wichtige Maßnahme vor einer Dusche, die dann bald folgt. Allerdings holen wir noch 3 Minuten bevor die Post schließt unser Paket ab, um dann in unsere Unterkunft zu gehen. Steffen biegt zum Holiday Park ab. Unsere kleine Cabin ist noch eine Straße weiter, im Garten eines Privathauses und sie ist brandneu. Die Besitzerin wäscht sogar unsere Klamotten für uns und wir können unser Glück kaum fassen. Die Frühstückssachen, die wir noch bekommen, essen wir zum Abendbrot, weil wir nicht mehr in der Lage sind, zum Supermarkt zu gehen. Mann, wir sind geschafft, Traillegs hin oder her, auch dieser 2. Abschnitt des Te Araroa war verdammt anstrengend. Aber der Ruhetag ist nah und wir freuen uns auf einen Zeroday in Kerikeri.
P.S.: Besonderer Dank an Steffen, der einen Umweg zum Baumarkt ging, um zu unserer Überraschung mit kalten Getränken zurück zu kommen... Trail Magic :-)
(Good Grip, 9.12.2017)