Sonntag Morgen 6.30 Uhr in Auckland. Zwei bepackte Hiker wandern durch die Straßen zum Busbahnhof am Skytower. Wir wundern uns mal wieder über unsere schweren Rucksäcke, sind aber auch freudig erregt, dass es nun endlich los geht. In der Innenstadt ist noch nicht viel los, selbst die Menschen ohne ein Zuhause schlafen noch an den Bushaltestellen und in Geschäftseingängen. Die Stadt sieht jetzt gerade gar nicht mehr so "fancy" aus, um so besser, dass wir jetzt diesen Ort verlassen. Wir sehnen uns sehr nach Ruhe und Natur, denn das Hostel war die letzten Tage schon sehr laut und manche Menschen sind für ein gemeinsames, rücksichtsvolles Zusammenleben nicht unbedingt geschaffen. Vielleicht sind wir aber auch nicht massenkompatibel, wer weiß.
Am Busbahnhof stehen noch ein paar andere Wanderer, die unschwer an ihren Wanderstöcken, den Funktionshosen und den Trailrunnern zu erkennen sind. Wir hören deutsche, aber auch französische Worte, geben uns aber bei keinem zu erkennen, wahrscheinlich sieht man sowieso auf Anhieb, dass wir Deutsche sind. Unser Busfahrer hat eine Lockenmähne, freut sich über jeden Gast und kann sogar "schafisch" sprechen und verstehen. Er mäht ins Mikrofon und erzählt lustige Geschichten, die uns erst etwas irritieren, aber er scheint wirklich ein entspannter Kiwi zu sein, der seinen Job gerne macht. Die Landschaft, die mal grün hügelig oder auch mal sehr europäisch, landwirtschaftlich daher kommt, entspannt unsere Augen nach den städtischen Tagen und unsere Vorfreude auf den Track steigt mit jedem gefahrenen Kilometer. In Kerikeri steigen wir in einen kleineren Bus und leider verlässt uns auch unser singender Busfahrer, schade, er hätte uns sicher noch einige Elvis Songs darbieten können.
Wir kommen nach knapp 6 Stunden Busfahrt in Kaitaia an und schlendern zur Unterkunft, die nach dem vollen Hostel eine Oase zu sein scheint. Wir können noch ein wenig ausruhen, ein Abendessen genießen, bevor wir dann morgen zum Cape Reinga geshuttelt werden. Was für ein Luxus. Wir schlafen nicht ganz so lange, wie erhofft. Vielleicht sind wir doch nervöser als gedacht. Ich habe jedenfalls mal wieder große Zweifel, ob ich in der Lage bin, diese Strecken zu meistern. Meine Muskeln und Gelenke haben ja in den USA immer mal wieder gemuckt und es wäre so schade, wenn wir wegen irgendwelcher gesundheitlicher Probleme eingeschränkt würden. Try to be positive, ja, das soll meine Devise sein und ich hoffe sehr, dass ich mich nicht selber für irgendwelche Schmerzen verurteile, sondern damit besser umgehen lerne. Gutes Trailziel, oder?
Wir stehen also etwas früher auf als geplant und können das Frühstück im Zimmer essen, da es dort auch einen Wasserkocher und Kaffee gibt. Im Gegensatz zum Abendessen ist das Frühstück allerdings etwas reduziert. Macht nichts, denn wir haben sogar noch ein paar Kekse von gestern, die den Jogurt und den Obstsalat upgraden können. Um 8.30 Uhr gehts dann los, unser Hausherr fährt uns die 100 km zum Cape Reinga und wir plaudern etwas über die schwierige Immigration, die seine Ehefrau und die Kinder hinter sich gebracht haben. Die neuseeländische Regierung scheint da sehr strikt und genau zu sein. Nach gefühlten 150 km sind wir endlich am nördlichsten Punkt der Nordinsel angekommen und die Sonne strahlt... wir sind von dem blauen Wasser, der klaren Luft, der wunderschönen Küste total geflasht. Wow, wie schön Neuseeland ist. Wir können kaum fassen, dass wir hier sind.
Wir machen die obligatorischen Fotos und Selfies am Leuchtturm, dann wird nochmal Sonnenschutz aufgelegt (obwohl die Tube eigentlich viel zu schwer ist) und auf gehts bergab in Richtung Strand. Die Sonne brennt mächtig, aber der Anblick des blauen Wassers ist unbeschreiblich. Laut ist es wegen der Wellen natürlich auch, aber das stört uns nicht. Wir genießen, freuen uns, dass wir hier sind und atmen, atmen, atmen. Überholt werden wir von drei Franzosen, die schon in Auckland mit uns im Bus saßen, sie sind deutlich schneller unterwegs. Sollen sie, dann haben wir den Weg wieder für uns, denn hinter uns scheint erstmal keiner mehr zu sein. Bevor es eine Düne hoch geht, müssen wir einen ersten Bach queren, was wir ohne Schuhe machen. Dann gehts steil und mit dem weichen Sand kommen wir das erste Mal etwas aus der Puste, aber es gibt auch wieder festere Passagen und Graswege, die uns sehr an die australische Küste damals auf dem Bibbulmun Track erinnern. Bis zur Campsite gehts nochmal am Strand entlang und am Ende fängt es tatsächlich auch noch an zu regnen, aber an der Campsite gibt es einen überdachten Pavillon, wo schon die Jungs sitzen und essen. Es ist ein traumhaftes Plätzchen hier und mit Wassertank, ebenen Graszeltplätzen und Plumpsklo sind wir happy. Die ca. 13 km waren perfekt zum Einstieg und morgen wirds dann auch direkt ein Knallertag mit 28 km.
Mal direkt vorweg, 28 km am Strand zu wandern ist kein Spaß. Also nix mit romantischem Strandspaziergang bei Sonnenuntergang und so. Der Morgen beginnt mit einer Mückeninvasion, die sich gewaschen hatte. Es summt, singt und die dunklen "Straßen" am Zelt sind bei genauerer Betrachtung Massen an Mücken. Wir wagen uns um 6.30 Uhr aber trotzdem aus dem Zelt und sortieren uns im Pavillon, wo auch schon die Jungs räumen. Das Wetter ist grau und im Laufe des Tages kommen immer mal wieder heftige Schauer runter. Bis zum 90 Mile Beach sind es aber noch 3,5 km durch und über Dünen. Wir schleichen die Wege entlang und es fühlt sich nicht so an, als hätten wir die Traillegs aus den Staaten hier mit nach Neuseeland bringen können. Irgendwann steigen wir dann diverse Stufen runter und sind endlich am Strand angelangt. Das wird also für die nächsten Tage unser Weg sein, links die Dünen, rechts das tosende Wasser. Die ersten zwei Stunden sind wild romantisch und die Touristenbusse, die an uns vorbei brettern, bekommen von uns nur ein kleines Winken. Wir fühlen uns noch gut und genießen es, solange es dauert. Denn der Sand ist irgendwann doch recht hart und der Weg unfassbar lang. Zur Abwechslung gibt es tote Seevögel, Fische und Rochen, die im Sand liegen. Wie gut, dass es ordentlich windet, denn der Verwesungsgeruch dieser Viecher ist schon sehr streng. Nach vielen Pausen und diversen Nüsschen, Riegeln und Trockenfrüchten kommen wir um 17.30 Uhr im Camp an, wo noch gewerkelt und gebaut wird. Die Toiletten mit Wasserspülung sind gerade fertig geworden und wir sind die ersten, die eine Gebühr für den Campground zahlen düefen. Wir lassen uns aber erstmal stumpf auf dem Rasen nieder, neben den drei Jungs aus Frankreich bieten wir sicher einen interessanten Anblick. Total erschöpft, gerötet von der Sonne und ziemlich verschwitzt. Auf dem Platz ist noch ein Kiwi mit seinen drei Hunden, einem fetten Auto, Motorrad und diversen Angeln. Er fragt uns, ob wir Reh essen würden, er würde gleich was auf den Grill schmeißen, aber wir lehnen dankend ab, denn der Typ ist ein wenig komisch und die Komplimente an mich sind mir doch etwas zu direkt. Nachdem wir unser Abendessen zubereitet haben, fallen wir stumpf auf unsere Isomatten und pennen. Wir sind schon lange nicht mehr so müde gewesen.
Wie gut, dass wir am nächsten Tag 30 km auf dem Programm haben und die 28 km am Vortag ja ein Klacks waren. Waren sie natürlich nicht und dementsprechen eierig gehen wir morgens auf den Sand, um den 90 Mile Beach weiter zu wandern. Aber nicht nur wir tanzen den Hikershuffle, auch die Jungs sehen etwas zerstört aus. Der Te Araroa fordert uns alle ganz gut. Das Wetter ist etwas besser als am Vortag und deswegen schmieren wir noch eine Extraladung Sonnenmilch auf uns. Der Weg ist weit, der Tag wird sehr lang und die Muskeln und Gelenke machen keinen Hehl daraus, dass sie diese Art von Wanderung nicht witzig finden. Wir kommen aber doch irgendwie um 17 Uhr an der grünen Fahne an, freuen uns so sehr auf Bett, Essen und Dusche, dass wir nur leicht stutzig werden über den Namen der Besitzerin und dem Etablissement hier fast direkt am Strand. Wir beziehen trotzdem einfach mal eine kleine Cabin und versuchen, mit der Besitzerin der Lodge über Handy in Kontakt zu treten, bei der wir eigentlich ein Zimmer gebucht haben. Leider meldet sie sich nicht und wir nehmen deswegen, was nun da ist: eine kalte Dusche, eine etwas versiffte Küche und einer Menge super cooler Touris, die hier abhängen. Gegen 18.30 Uhr kommt Tania, die Besitzerin des Utea Parks, und klärt uns auf, dass die Hukatere Lodge noch ca. 1,5 km entfernt ist, aber sie könnte uns Eier, Speck und Hashbrowns verkaufen, wenn wir uns das denn selber "backen". Zusätzlich gibt es noch einen super leckeren Smoothie, den wir gerne nehmen. Es ist alles etwas anders, als erwartet, aber wir werden satt, können schlafen und uns auch etwas nach den 30 km erholen. Den Franzosen spendieren wir noch einige Blasenpflaster. Einer von ihnen hat die Ferse blutig und wir können kaum glauben, dass sie ohne dieses wichtige Wanderuntensil losgezogen sind. Wanderer ohne Blasenpflaster sind wohl wie Lodgebesitzer ohne Hinweisschild, denn warum uns die Besitzerin nicht schon am Telefon gesagt hat, wo sie zu finden ist, wird ihr Geheimnis bleiben.
Für den nächsten Beach-Hike stehen nur 17 km auf dem Programm und wir sind froh darüber, dass es ein ruhigerer Tag wird. Klar, man hätte sich die Übernachtung sparen und einen 31 km Tag machen können, tun wir aber nicht. Denn es gibt in Waipapakauri einen Holiday Park, den wir ansteuern. Wir haben dort eine Unit gebucht, um zu regenerieren, außerdem soll es ein Restaurant geben. Die 17 km sind zwar auch eine Strecke auf hartem Sand, aber wir kommen gut voran, obwohl es auch nochmal schauert und ordentlich Gegenwind gibt. In der Ferne sehen wir Autos und irgendwann können wir auch die Strandsegler erkennen, die ihre Runden drehen. Als wir an der Straße ankommen, die auf den Strand führt, fährt sich erstmal ein Touristenauto im Sand fest. Wir sind so freundlich und helfen dem Pärchen aus der Misere, die noch nie am Strand gefahren sind... und vielleicht nach diesem Erlebnis auch nicht nochmal fahren. Aber wir erzählen ihnen noch von anderen Zugängen, wo es einfacher ist und vielleicht hilft es ihnen weiter. Wir schlendern weiter zum Holiday Park und nehmen von einer etwas gelangweilten Mitarbeiteirn folgende Informationen zur Kenntnis: es gibt außer ein paar Tüten Chips und einigen Getränken nichts zu kaufen, das Restaurant hat schon seit Monaten geschlossen, das Wifi funktioniert gerade nicht, aber Wäsche waschen könnten wir schon... na immerhin. Die Unit ist gut und es gibt sogar Kaffee und Tee, so dass wir etwas versöhnter sind. Ein Wandergericht haben wir zum Glück noch in unserer Futtertüte, so dass wir nicht noch auf einen Shuttle Service ins Örtchen angewiesen sind. Schade, dass die Infos bei Booking nicht immer stimmen, hätten wir gestern nicht noch was von Tania kaufen können, hätten wir heute ziemlich alt und hungrig ausgesehen. Aber, es hät ja noch immer jut jejange...
Die letzten 14 km am Strand starten wir um kurz nach 9 Uhr mit den drei Jungs aus Frankreich, dachten wir. Aber sie entscheiden sich, per Anhalter zu fahren, um dann in Ahipara oder Kaitaia einen Ruhetag zu machen. Einer von ihnen hat so starke Schmerzen am Knie, dass er wohl an diesem Tag nicht wandern kann. Das ist bitter und wir hoffen, dass sie trotzdem weiter gehen können und wir sie auf dem Trail wieder treffen. Am Strand sitzt am Morgen aber noch ein anderer Hiker, der 3 Tage hintereinander 30 km geht. Er ist einen Tag nach uns gestartet und hat entsprechend viele Kilometer gemacht. Beeindruckend. Wir gehen die letzten Kilometer am Strand und freuen uns auf eine reichhaltige Mahlzeit im Ort. Leider müssen wir etwas auf der Straße gehen, bevor wir am Shop ankommen, wo es Fish and Chips gibt. Es schmeckt perfekt und wir genießen das kalorienreiche Mahl mit bloßen Händen. In der Superette gibt es noch etwas Nachtisch, dann holt uns die Besitzerin des B&B auch schon ab, wo wir zwei Nächte bleiben werden.
Wir haben den ersten Abschnitt auf dem Te Araroa geschafft, well done, würde ich sagen!
(Good Grip, 1.12.2017)