Das Hotel etwas außerhalb von Duncannon bot uns einen Shuttle zurück und wir entschieden uns, ein wenig zu mogeln, denn durch Duncannon sind es erstmal mehrere Meilen Straßenlatscherei. Es war nämlich immer noch heiß und wir nahmen das Angebot dankbar an, noch zum Supermarkt gefahren zu werden. Wie genial war das denn? Der Fahrer wartete sogar noch 15 Minuten, in denen wir schnell unseren Proviant für die nächsten Tage zusammen suchten und brachte uns dann zum Doyle Hotel, mitten in Duncannon. Da wollten wir eigentlich noch Mittagessen, denn das Hotel ist eine Trail-Institution, die wir nicht verpassen wollten. An der Tür klebte ein verknautschter, handgeschriebener Zettel, dass das Hotel erst wieder um 16 Uhr aufmachen würde. Dann eben nicht... zum nächsten Pizzaladen wars nicht weit und so gingen wir zur Konkurrenz. Auf dem Weg trafen wir "Will Call", einen Thru-Hiker, der nun schon zum 3. Mal diese tausende von Meilen macht, unfassbar. Wir aßen zusammen, teilten ein paar Trailgeschichten und wanderten dann bei unsäglichen Temperaturen los. "Will Call" wollte bei dieser Hitze lieber einen Zero-Day einlegen, ganz schön schlau... Bevor wir aber den Hügel zum Eagles Point hochstapften, musste 2Tall noch seine Zehen und Füße verpflastern. Er war wirklich vom Pech verfolgt und hatte immer wieder diese Schmerzen an den Zehen. Der Aufstieg war schweißtreibend bei diesen Temperaturen und wir brauchten am Aussichtspunkt erstmal eine Pause. Wir trafen eine Hundespaziergängerin und einen anderen Wanderer, der auf dem Weg nach Duncannon war, und unterhielten uns über die Amerikaner und die Deutschen an sich. Was machte denn nun den großen Unterschied zwischen den Ländern, zwischen den Amerikanern und den Deutschen? Wir überlegten noch lange auf dem Weg und konnten es auf Anhieb tatsächlich nicht beantworten.
Wir gingen nur 4 Meilen bis zum Shelter und wollten uns dort etwas von der Hitze regenerieren. Mit uns zeltete noch ein anderes Pärchen dort am Shelter, mit denen wir aber keinen Kontakt bekamen. Sie waren sich selbst genug, was ja auch mal ok war, aber doch eher unüblich auf dem Trail. Wir forcierten das Kennenlernen nicht und ließen sie einfach... die jungen Hüpfer.
Leider kühlte es in der Nacht kaum ab und wir kamen nicht so so zur Ruhe, wie erhofft. 2 Tall schlief wegen seiner heißen Füße nicht gut und am nächsten Morgen war die Stimmung im Keller. Fußschmerzen, Hitze und immer noch ein felsiger Weg, das konnte schon mal den Wanderoptimismus reduzieren. Irgendwann ging es aber tatsächlich vom Ridge runter und der Weg wurde weniger felsig. Unsere Fußsohlen lächelten, das konnten wir deutlich sehen, und wie leicht es plötzlich wurde, voran zu kommen. Ein völlig neues Gehgefühl erlebten wir da ohne die Felsen. Ok, es waren immer noch über 30°C, aber wir konnten sogar etwas Strecke machen. Wir trafen auf dem Weg einen Thru-Hiker mit seinem Berner-Sennen-Pudel-Mix. Sein Trailname war Shep, der Hund hieß natürlich Sheep. Was für ein toller Hund, ich war sofort hin und weg, aber mit dem dicken Fell beneideten wir ihn nicht unbedingt.
Wir schleppten uns an diesem Tag bis nach Carlisle, wo es ein Hotel gab und natürlich eine Dusche. Ist ja selbstverständlich, aber nach einigen Tagen auf dem Trail immer wieder ein wunderbares Gefühl. 2Talls Füße sahen leider immer noch schlimm aus mit den vielen, roten Punkten auf dem Fußrücken. Nach eingehender Recherche im Internet fanden wir heraus, dass es kein Ausschlag war, sondern eine Durchblutungsstörung mit kleinen Einblutungen unter der Haut. Das gibt es wohl oft auf dem Camino und heißt deswegen auch Wanderkrätze. Es hat aber nichts den kleinen Viehchern zu tun, sondern liegt einzig allein an der Hitze. Das war schon mal beruhigend, dass es bei anderen Temperaturen besser werden sollte. Also doch keine neuen Socken, Salben oder Allergietabletten, nein, einfach nur Kühlen und Hochlegen. Das war die Therapie.
Da wir mit den neuen Infos beruhigter waren, die Temperaturen endlich etwas angenehmer waren und irgendwie auch weiter wollten, entschieden wir uns gegen den Ruhetag in Carlisle und wanderten am nächsten Tag weiter, aber nicht ohne den Schwiegereltern noch alles Gute via Skype für ihre Goldhochzeit zu wünschen, die am nächsten Tag stattfinden sollte. Herzlichen Glückwunsch nochmal nachträglich!
Die Strecke ab Carlisle ging durch Maisfelder und über Wiesen, es war flach und einfach toll zu gehen. Leider war nun auch Jagdsaison und immer hörten wir Schüsse, die gar nicht so weit weg zu sein schienen. Das war schon etwas unheimlich und wir hofften sehr, dass die Jäger wussten, wo der AT entlang ging. Es wurde im Guidebook auch empfohlen knallige Farben in dieser Zeit als Wanderer zu tragen, aber extra Garderobe zur Jagdsaison? Och nö. Wir wanderten bis Boiling Springs und waren überrascht über das idyllische Städtchen, direkt an einem kleinen See. Wir genossen eine perfekte Mittagspause in einem Café unter dem Sonnenschirm und erwarben sogar noch ein neues Kissen für 2Tall im Outdoor Laden. Shoppen machte eben doch glücklich. Wir wanderten an der Campsite am Örtchen noch vorbei, weil uns Spaziergänger dringend davon abrieten, dort zu zelten. Denn der Bereich läge direkt an den Gleisen und die Züge würden häufig mit einem ziemlichen Geplärre daran vorbei fahren. Die Campsite kurz hinter dem nächsten Shelter war dann auch viel schöner, alllerdings lag sie im Tal, es wurde recht früh finster und der Abend wurde richtig kalt. Was für ein Temepratursturz. Die Hitzewelle war eindeutig vorbei und mit unter 10°C in der Nacht, wars am Morgen auch noch nicht so richtig warm wieder. Unsere Bärenleine war ein zusätzliches Problem, denn manchmal fanden wir einfach keinen guten Ast, um unsere Futtersäcke ausreichend zu sichern. Wir beließen es aber bei der geringen Höhe und meine Gedanken fingen dann natürlich im Zelt an, zu rotieren. Was würden wir eigentlich machen, wenn so ein Schwarzbär sich für unsere Futtertüten entscheiden würde? Schreien, Rennen, mit Steinen werfen... ehrlich gesagt, mag ich das gar nicht herausfinden wollen. Ich freue mich um so mehr, wenn es an einem Shelter eine Bärenbox gibt, in die wir unser Zeug einfach reinstellen können.
Der nächste Tag bot uns nicht nur perfektes, klares Wanderwetter, sondern auch noch schicke Felsformationen und einen Laden zum Einkehren. Was wollten wir eigentlich noch mehr? Sogar ein richtiges Bett sollte es in dieser Nacht geben, denn im Furnace State Park gab es ein Hostel in einem toll renovierten, alten Haus. Hier finden auch immer wieder Hochzeiten oder andere Großveranstaltungen statt, aber zwischendurch dürfen mal die Hiker oder andere Urlauber hier übernachten. Es gab eine Inkeeperin, die uns fröhlich begrüßte. Sie zeigte uns den Männer-und Frauenschlafsaal und da noch eine Mutter mit ihrem Sohn hier übernachtete, kam es tatsächlich so, dass ich mit der schnarchenden Dame und 2Tall mit dem etwas autistisch wirkenden Sohn in einem Raum nächtigen sollten. Die Inkeeperin zeigte uns alles (sogar den alten Kellerraum, wo damals Sklaven versteckt wurden), backte eine Pizza für uns auf und genoss es sichtlich, Unterhaltung zu haben. Soweit so gut, als ich aber gegen 21.30 Uhr schlafen ging, wurde mir klar, dass es keine schöne Nacht für mich werden würde, denn die Dame schnarchte so laut, wie ich es noch in keinem Shelter gehört hatte, unfassbar. Am nächsten Morgen war ich entsprechend genervt. Der kaputte Toaster und der miese Kaffee taten dann ihr Übriges, dass ich in einem ziemlich desolatem Zustand den Hügel hochstapfte. Die Stimmung wurde etwas besser, als wir den offiziellen Halfway-Point des ATs passierten, der tatsächlich auch unser Bergfest ankündigte. Wow, das muss für alle Thru-Hiker ein besonderes Erlebnis sein. Der Weg gab uns die Möglichkeit, an diesem Tag 17 Meilen (27,2km) zu wandern, auf die wir mächtig stolz waren, so weit waren wir noch nie gegangen. Wow. Und wer saß da an einem wunderschönen Shelter schon am Lagerfeuer? Shep und Sheep und wir alle freuten uns sehr, dass wir uns nochmal trafen. Das war eine echte Überraschung, denn wir hätten gedacht, dass die beiden schon viel weiter seien. Das wunderschöne Shelter hatte übrigens Blumenkästen, eine Schaukel, einen überdachten Kochplatz und Zeitungspapier zum Anzünden eines Lagerfeuers.
Aber leider werden kalte Nächte auch in schönen Sheltern eisig und bei knapp 7°C waren lange Unterhosen und Mützen obligat. Mein Schlafsack bot mir ausreichend Schutz gegen die Kälte, aber leider war 2 Talls Schlafsack nicht ausreichend warm und dementsprechend frostig wars am Morgen, Stimmung und Körpertemperatur waren im Keller. Auch das Frühstücks-Lagerfeuer konnte uns nur bedingt aufwärmen und so wanderten wir bald in Regenhose, Jacke, Handschuhen und Mütze los. Die konnten wir aber bald ausziehen, denn es wurde wieder ein super klarer, sonniger Tag. Es gab auch mal wieder ein paar Felsen und Aufstiege, aber am Abend hatten wir 13 Meilen gemacht und zelteten mit Shep und dem tollen Hund an einem Shelter, was seine besten Tage hinter sich hatte. Immerhin gab es am naheliegenden Park Trinkwasser und Mülleimer, wo wir Flaschen auffüllen und Mülltüten ausleeren konnten.
Wir verabschiedeten uns am nächsten Morgen von den beiden lustigen "Gesellen", weil wir nach nur 7 Meilen nach Waynesboro ins Hotel wollten. Hoffentlich treffen wir die beiden nochmal, denn wir haben ein gutes Tempo zusammen und so ein "guter Hund" bringt einfach eine tolle Atmosphäre ins Camp. Den Ausdruck "guter Hund" wollte Shep unbedingt auf Deutsch lernen und wir begrüßten das wollige Schaf häufig damit.
Fazit: Auch wenn es tagsüber Sommer ist, kann es richtig kalt werden und Schafe sind ebenfalls tolle Wegbegleiter.
(Good Grip, 3.10.2017)