Wir hatten das Harzvorland schon mit den Augen bewundert, jetzt durften wir den Harz selber mit jeder Faser unserer Beinmuskeln erspüren. Es fing mit sanften Hügeln hinter unserer Pension in Hessen an und steigerte sich stündlich. Aber Wetter und Kopf spielten wieder mit, denn am Abend vorher hatte es noch "trail like" Pizza und Softdrink vom Lieferservice gegeben, welche uns ausgiebig mit Kohlenhydraten versorgt hatten. Die Onlinebuchung beim Pizzaservice war zwar etwas holperig, aber das passte irgendwie auch zu den Wegen tagsüber, so dass wir uns über nichts mehr zu wundern brauchten. Außerdem ist unser Geduldsfaden seit der Radtour viel dicker geworden, und so nahmen wir es gelassen hin, dass wir 1,5 Std auf die beiden Pizzen warten mussten. Am nächsten Morgen stand das Frühstück schon für uns bereit und wir freuten uns über den Sonnenschein, der da durchs Fenster lugte. Sollte es mal wieder ein schöner Sommertag werden? Wir radelten durch Felder und Örtchen, immer mit Brocken-Blick. 2Tall nannte ihn inzwischen liebevoll "Bröckchen" und wir kamen ihm immer näher. Mittags machten wir einen Kaffee-Stop im “Holzwurm“ und bewunderten die riesige Dogge, die neben dem Cafe ihr Domizil mit Shelter und Matratze hatte, bizarr. Den Besitzer der Pension in Hessen fragten wir am Abend noch nach dem besten Weg nach Elend, schlussendlich entschieden wir uns dann aber doch für die Waldvariante, die er uns nicht empfohlen hatte, weil sie angeblich wohl zu matschig sei. Der Weg war perfekt und wir waren so froh, dass wir nicht auf der Hauptstraße dicht neben den Autos gefahren sind, denn es gab auf dieser Strecke keinen Radweg. Wir fuhren also ganz allein durch den Wald, meisterten die Steigungen bravourös auf dem guten Schotterweg und kamen irgendwann an einem riesigen Parkplatz raus, der mit einer erheblichen Zahl an Autos, Bussen und Wohnmobilen besetzt war. Das Geräusch und der Rauch verrieten uns dann, dass wir am Bahnhof der Brockenbahn waren. Uff, was für ein Menschenaufkommen nach dieser Waldruhe. Wir machten uns nach ein paar Bildern auf den Weg zum letzten Stück in Richtung Elend. Da gab es noch einen Hügel zu erklimmen, dann waren wir am Ziel und waren total begeistert, dass wir solch tolle Wege genießen konnten.
Nach einem genialen Frühstück in Elend besuchten wir noch kurz die drei Harzer Hexen, um etwas Proviant für die Fahrt zu kaufen, aber der Laden hatte nur einen originellen Namen und leider keine vernünftigen Radler-Snacks. Das wurde also auf später verlegt und wir fuhren erstmal los und kamen an einer großen Wiese mit Massen an Dixi Toiletten vorbei. Aha, wir hatten das Festival "Rocken am Brocken" nur um ein paar Tage verpasst und waren sehr froh darüber. Die Hinterlassenschaften von Menschenmassen waren auch noch im Waldstück dahinter zu sehen und das fanden wir mal wieder total abstoßend... wir haben für solche Fälle ja immer den "Kackspaten" dabei, um wenigstens ein Loch für sein Häufchen zu buddeln... ist eine echte Investition.
Das grüne Band wurde kurz hinter Sorge heftig steil und leider waren noch die alten Platten im Wald verlegt. Die haben 28 Löcher und machen es einem Radler nicht einfach, es wachsen zwar Grasbüschel aus den Löchern, aber trotzdem hoppelten wir heftig über die Piste. Als es dann noch steiler als steil wurde, entschlossen wir uns, zu schieben. Was aber auch irgendwie nervig war. Das war bisher das heftigste Stück auf dem "Grünen Band" und wir waren sehr froh, als wir zur Straße abbiegen konnten, um in den Ort Hohe Geiß zu fahren. Dort gab es dann die ersehnte Bäckerei und noch ein Lädchen, wo wir für den Tag noch einiges einkauften. Es war gut, dass wir ausreichend Futter dabei hatten, denn der gesamte Weg war von Hügeln durchzogen, die wir immer wieder erklimmen mussten. Aber wer hoch fährt, hat ja manchmal auch die Chance auf eine coole Abfahrt, die sich direkt hinter Hohe Geiß anschloss. Mehr als 45 km/h fuhren wir wohl nicht, aber es fühlte sich schon mächtig schnell an und ich hatte bei jeder Kurve so meine Bedenken. Aber wir kamen heile "unten" an und bedauerten einen Radwanderer, der das gesamte Stück in die andere Richtung noch vor sich hatte, er guckte auch nicht unbedingt euphorisch. Im Ort Ellrich ging es auf einem Kopfsteinpflasterweg zum alten Bahnhof. Der Weg war für den normalen Verkehr gesperrt und wir wunderten uns, dass wir plötzlich mitten in der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Ellrich-Juliushütte standen. Eine Gedenkstein, von Belgien gestiftet, erinnerte an all die Menschen, die hier umgebracht und gequält wurden. Wer sich darüber informieren will, kann bei Wikipedia einiges erfahren. Wir waren jedenfalls sehr erstaunt, dass nicht noch mehr auf diese Gedenkstätte hingewiesen wurde, die Wege nicht besser gepflegt waren, irgendwie in einer anderen Form, an diesen Ort mit seinen Menschen gedacht wurde.
Nach weiteren Steigungen und Abfahrten mit großem Schotter standen wir plötzlich vor einer verschlossenen Bahnschranke und mussten mittels gelbem Knopf um die Öffnung der Schranke bitten. Sehr ungewöhnlich. Irgendwann gab es dann die große Belohnung für all die heftigen Aufstiege am heutigen Tag, wir rollten durch ein Tal, hatten wenig zu treten und genossen ausnahmsweise mal die Landschaft, die locker an uns vorbei zog. Es war mit den Hügelchen dann immer noch nicht ganz zu Ende und unsere Beine brannten schon ganz gut. Es kam dann noch eine 7% Steigung, die wir so gerade noch schafften, bevor wir nach Duderstadt rollten. Wir fuhren aber nur am Rande der Stadt vorbei und passierten noch das Tierheim, aus dem plötzlich ein Hund lief, der offensichtlich das erste Mal seit langem wieder seine Freiheit genoss. Bald nach Duderstadt kamen wir bei unserem Ziel in Bernigerode an. Die ältere Dame war etwas überfordert, gab aber auch zu, dass sie nur hier die Vertretung wäre. Es war alles einfacher, aber wir freuten uns über das Zimmerchen. Am Abend waren diverse Firmen-Transporter auf dem Hof. Wie auch in Hessen werden diese Landpensionen eher von Monteuren als von Urlaubern frequentiert. Das Frühstück war dann aber ganz entzückend dekoriert und auch wenn wir wegen baulicher Massnahmen im Windfang des Hauses saßen und von der Sonne gebrutzelt wurden, hat sich die Besitzerin doch sehr viel Mühe gegeben. Wir hatten wieder sonniges Wetter, 2Tall hatte einen tollen Weg herausgesucht, das grüne Band geht nämlich fast immer über die höchsten Hügel, die wir auch mal umradelten. Da wurde es dann auch mal so einsam und waldig, dass wir einen Fuchs trafen und immer wieder begegneten uns Rehe oder Hörnchen. Punkt 12 Uhr mittags kamen wir in einen Ort, wo es auch noch eine Bäckerei gab, ist ja in manchen Orten gar nicht mehr so üblich, dass es da noch irgendetwas gibt. Die Bäckerei wollte gerade schließen, aber wir konnten noch die letzten Teilchen ergattern, um etwas unterwegs zu beißen zu haben. Dann aber war es wirklich soweit, wir rollten zur Werra herunter und prompt waren da all die Radwanderer, perfekt gestylt, die Ortlieb-Taschen farblich passend zu den Helmen und der Sonnenbrille.... da konnte ich mit meinen rot-rosa-orange-farbenen Mix nicht dagegen an, aber so isses eben, ich bin eben ein Rot-Typ. Neben den stylischen Radlern sahen wir aber auch wunderschöne Schlösser und Burgen, bei Sonnenschein und pittoresken Wölkchen ein toller Anblick. An einem Campingplatz machen wir einen Kaffeestop und es dauerte keine 5 Minuten, dass wir vom Herren am Nachbartisch angesprochen wurden. Er erzählte und textete über die schöne Gegend hier und anderswo. Wir hatten das Gefühl, er brauchte dringend ein bis vier Ohren zum Zuhören, aber hatte er uns gefagt, ob wir ihm die überhaupt bieten wollten?
Es ging weiter Richtung Eschwege, wo das nächste Festival auf uns wartete. Jetzt war uns auch klar, warum hier keine Unterkünfte frei waren. Wir umfuhren das Städtchen und hatten noch eine feine Strecke bis nach Wanfried. Ein Ort, der mit Fachwerk protzte und auch unsere Unterkunft im "Schwan" war historisch. Wir ließen es uns gut gehen, genossen einen Hauch von Luxus mit frischen Pfifferlingen ;-) Der nächste Tag hatte sehr viel Regen angekündigt, aber zum Glück täuschte sich auch mal die beste Wetter App. Es war zwar kühler und wir hatten mal wieder die Arme bedeckt, aber die kurzen Hosen blieben. Es gab den ganzen Tag höchstens 3 Tropfen und wir waren nicht nur wegen des Wetters total begeistert, sondern auch wegen der naturnahen Wege an der Werra entlang. Da gabs auch mal Schotterwege, aber insgesamt wars ein absoluter Traumweg, den wir auch oft ohne andere Menschen genießen durften. Wow. In Dankmarshausen war unsere Unterkunft und wir hofften, dass sie sich nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zum Monte Kali befand. Diese riesigen Abraumhalden sind schon von weitem zu sehen und stammen vom Kalisalzabbau. Diese Berge auch Kalimandscharo zu nennen, hat schon was euphemistisches, denn sie schwemmen auch viele Schadstoffen ins Grundwasser und haben nix mit Fernweh oder Afrikaromantik zu tun.
Schön wars im Harz und an der Werra, nun geht es auf den Bahnradweg quer durch Hessen.
(Good Grip, 10.8.2017)