Osterferien, endlich mal wieder Zeit, um eine längere Strecke zu wandern, in einen guten Rhythmus zu kommen und ein bißchen Trailgefühl zu entwickeln. Für diese Zeit hatten wir uns den Kocher-Jagst-Trail im nordöstlichen Baden-Württemberg ausgesucht. Hörte sich in einer Wanderzeitung gut an und was für uns ebenfalls entscheidend war, dass die Anfahrt nicht so lang war.
Es ging also am Sonntagmorgen los, und glücklicherweise waren die Straßen leer und schon mittags kamen wir in Eberbach an und fanden auch sofort einen Stellplatz fürs Auto. Wir brauchten nicht lange auf den Dorfstraßen zu gehen, denn der einsame Waldweg führte direkt ins idyllische Rötelbachtal. Das Bächlein blubberte so neben uns her und schon bald genossen wir die Ruhe und den einsamen Weg.
2Tall hatte sich mal wieder einen neuen Rucksack genäht und schon nach den ersten Metern war klar, das Ding saß perfekt und fühlte sich an seinem langen Rumpf super an. Inzwischen ist 2Tall tatsächlich ein erfahrener Näher und hat sich für seine Bedürfnisse ein individuelles Wanderutensil gebaut. Ich bin beeindruckt, schaffe ich es doch noch nicht einmal, meine Nähte an irgendwelchen Shirts zu flicken.
Leider war das Rötelbachtal nicht so lang wie erhofft und schon bald befanden wir uns auf der Höhe, wo uns nicht nur ein eisiger Wind entgegen blies, sondern auch stechende Gülledüfte in unsere Nasen krochen. Landwirtschaft hin oder her, aber diese stinkenden Güllefelder machen nicht unbedingt bessere Gedanken zu konventioneller Landwirtschaft. Auch die riesigen Schweineställe mit den typischen Belüftungsrohren vervollständigten das Bild einer ziemlich intensiv genutzten Gegend und deren Lebewesen.
Nach ca. 15 km kamen wir in Blaufelden an und fanden schnell unseren "Hirschen", der uns für diesen Abend eine Unterkunft bot. Der Schlüssel war versteckt, die "Schatzkarte" aber gut erklärt, so dass wir zügig unser beheiztes Zimmer und die heiße Dusche genossen. Das Abendessen in der Fußballerwirtschaft nebenan war dann leider etwas dürftig, aber der Wanderhunger war zum Glück noch nicht so groß, dass wir die etwas lieblose, kleine Portion trotzdem zufrieden aßen.
Am nächsten Tag hatten wir mit 19 km einiges vor uns. Das Frühstück war dann entsprechend üppig und wir langten richtig zu. Leider begann die Strecke mit "Hartbelag" und es brauchte etwas, bis wir das engere, idyllischere Bachtal erreichten. Dort fand dann das "traditionelle"Steinehüpfen statt, um an die andere Flußseite zu gelangen. Ich mache bei diesen Aktionen meinem Namen fast immer alle Ehre und agiere eher mit wenig Grip, aber es ging gut und wir erreichten trocken das andere Ufer.
Erstaunlicherweise trafen wir dann im Wald auf mehrere Sequoias, die eigentlich ja in Nevada heimisch sind. Diese Mammutbäume sind schon sehr beeindruckend. Als kleines Menschlein daneben kommen einem dann schon mal interessante Gedanken, die ich hier aber nicht näher ausführen möchte. Unser Zielort war Kirchberg an der Jagst, wo wir uns mit Kaffee und Kirschkuchen im Ort erstmal regenerierten. Für manche von uns war das quasi Rettung in letzter Sekunde. Nach so einem langen, kalten Tag schmeckte es aber auch immer besonders lecker.
Die Unterkunft lag etwas ab vom Trail, so dass wir am nächsten Morgen erstmal wieder "Road-Walk" machen mussten. Die Menschen auf den Straßen begegneten uns häufig mit sehr kritischen Gesichtern, was natürlich eine Menge Gründe haben könnte: wir sehen schon ziemlich abgeranzt aus (aber am 2. Tag einer Wandertour ist das fast nie der Fall), die Leute kennen nur Menschen mit kleinen Rucksäcken und ohne Wanderstöcke, und dieser Anblick versetzt sie in Erstaunen, die Menschen haben nicht so gut gefrühstückt und haben auch keine Ferien, so wie wir :-) Letztendlich konnten wir die Blicke nicht deuten, aber leider hatten wir nur sehr wenig echte/freundliche Begegnungen in Baden-Württemberg, schade! Wir mussten also durch ein größeres Wohngebiet schlendern, wo wir gehofft hatten, auf einem kleinen Querweg, wieder auf den Trail zu kommen. Da war dann aber leider ein Zaun und die Pforte war abgeschlossen, ein eingezäunter Wanderweg quasi. Nach einigem Ruckeln wurden wir von einer Frau angesprochen, die uns anbot, durch ihren Garten auf den Weg zu kommen. Da war sie dann doch, die eine echte, freundliche Begegnung mit den "Einheimischen". Witzigerweise hatte das ganze Ensemble aber einen Hauch von Klischee, denn im völlig chaotischen Vorgarten stand ein verrosteter VW-Bus, und die Klamotten der jungen Frau waren extrem alternativ, die verrückten Hunde hatten im Garten ein Schaffell zerfetzt und die Heidschnucken blökten uns etwas irritiert an. Wir gingen also im Slalom durch die "Tretbomben" der Hunde und konnten dann durch den Zaun zum Trail gelangen.
An der Jagst ging es dann über/durch die erste überdachte Brücke. Welcher Romantiker denkt nicht sofort an den schönen Film mit Meryl Streep und Clint-Eastwood, wenn er so ein Konstrukt erblickt. Was wir nicht wussten, dass wir noch einige Brücken dieser Art sehen würden. Wohl gar nicht so ungewöhnlich in dieser Gegend.
Aber an diesem Tag gab es noch ein anderes Großereignis, und das musste gebührend gefeiert werden. Good Grips Schwester wurde 50 und wir ließen es uns nicht nehmen, mitten im Wald ein "Heute kann es regnen, stürmen oder schneien..." zu schmettern und ihr ausgiebig zu gratulieren.
Es war dann im Laufe des Tages gar nicht nötig irgendwelche Wettertänze zu absolvieren, denn es wurde so sonnig, dass ich meine lange, warme Unterhose wieder ausziehen konnte. So hatten wir uns den Urlaub vorgestellt, in der Sonne aalen und dabei ein kleines Picknick zu uns nehmen. Wunderbar!
Leider gesellten sich zu den Sonnenstrahlen irgendwann auch wieder extreme landwirtschaftliche Düfte hinzu und wir überlegten, wie die Schweineställe wohl von Innen rochen, wenn es draußen schon so unerträglich war? Das kann doch für kein Lebewesen gut sein, oder? Der weitere Weg wurde dann aber landschaftlich nochmal sehr schön, weil wir einige alte Ruinen von Mühlen und einen idyllischen Flußpfad nutzten. Die romantische Stimmung wurde leider bald von mächtigem Getöse eines Steinbruchs unterbrochen und auch die Staubbelastung war erheblich. Der Tag endete in Crailsheim, wo wir uns in einem Hotel eingebucht waren, was von einem Inder geleitet wurde. Leider war das im erdgeschoß liegende Restaurant nicht indisch, sondern ein Hähnchenimbiss, der auch entsprechende Düfte in die oberen Etagen wehte. Wir schliefen also nur "indisch", dafür aßen wir dann beim Chinesen in der Stadt, es wurde also doch noch irgendwie international.
Aber der Tag hinterließ ein eher ungutes Gefühl... Irgendwie waren wir froh am nächsten Morgen, Crailsheim wieder verlassen zu dürfen. Wir besorgten uns noch Wanderproviant im Penny nebenan und dann nix wie weg aus Crailheim. Der Blick über Crailsheim war dann auf dem angrenzenden Hügel erträglich, ein gewisser Abstand hilft ja oft mit, die Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten... Leider bot die Strecke im weiteren Verlauf wieder viel Asphalt und wir waren am Ende ziemlich platt gelatscht, nicht nur an den Füßen... Die Unterkunft war mal wieder ein "Hirsch", aber trotz Ruhetag wurde uns ein deftiges Abendbrot gebrutzelt. Wir hauten ziemlich rein und gingen sehr früh schlafen, sehr satt und ganz schön zufrieden.
Die Etappe von Wildenstein-Fichtenau bis nach Ellwangen war nicht nur lang, sondern auch kalt. Der Wind kühlte uns ganz schön runter und so beschlossen wir, einige Abkürzungen zu nehmen. Bei den Baumfällarbeiten entschieden wir uns dann aber gegen die Umleitung und kletterten über die Absperrung mit dem Lebensgefahr-Schild. Es war Gründonnerstag, 15.30 Uhr, da war klar, dass da nicht mehr gearbeitet wurde und wir den Kletterparcours begehen konnten...
Kurz vor Ellwangen konnten wir dann das Schloss ob Ellwangen und die Wallfahrtskirche auf den Hügeln erkennen, was beeindruckend aussah. Wir bewunderten aber nur aus der Ferne und begaben uns ziemlich müde ins Hotel am Bahnhof. Glücklicherweise gab es um die Ecke einen Supermarkt, der auch noch auf hatte und in dem wir unsere Zuckerreserven wieder auffüllen konnten.
Am Karfreitag ging es von Ellwangen nach Willa zum "Goldenen Kreuz". Die Unterkunft wurde im Reiseführer ausführlich beschrieben und wir waren sehr gespannt, was das wohl sein würde. Die Tageskilometer waren an diesem Tag nicht so zahlreich, was sich bei dem ganztägigen Regen als gutes Timing herausstellte. Beim Weg auf den Hohenberg (569m) kamen wir dann doch etwas ins Schwitzen, leider regnete es immer noch relativ stark, so dass wir in der Mariengrotte, direkt unterhalb des Hohenberges mit der der Kirche St Jakob, zur kurzen Einkehr und für einen Tee nutzten. Tja, und das "Goldene Kreuz? Diese sogenannte geschichtsträchtige Waldwirtschaft, die schon damals für Fuhrleute und heute für Wanderer sehr wichtig sei, versetzte uns in mittlere bis große Schockzustände. Wir finden es überhaupt nicht schlimm, wenn die Toilette auf dem Flur ist, wenn die Dusche sich im Zimmer befindet, geschenkt. Wenn aber die völlig überalteterten Möbel in einem zugestaubten Raum stehen und die Spinnenweben im gesamten Raum lose vor sich hinbaumeln, ist das nur schwer zu ertragen. Das Gesamtkunstwerk setzte sich dann in der "Schankwirtschaft" fort. Es war sehr bedrückend, dass mehrere brennende Kerzen vor Fotos verstorbener Menschen standen und im gesamten Etablissment entweder Kreuze oder völlig überaltete Einrichtungsgegenstände den Raum "schmückten". Wir fühlten uns wie in eine andere Zeit gebeamt und auch die Besitzerin trug mit ihrem Auftreten dazu bei. Dazu kam ein relativ hoher Preis, den wir nur sehr ungern zahlten. Wir waren erleichtert, am nächsten Tag die Zeitmaschine verlassen zu können.
Am Samstag-Morgen gabs dann wieder bestes Wanderwetter und teilweise war es möglich, sogar mal die Jacken auszuziehen. Das hob unsere Stimmung enorm und die staubige Unterkunft war bald schon wieder Geschichte. Es ging von Willa über Bühlerzell und Geifertshofen bis nach Bühlertann. Bühlertann lag nicht direkt auf dem Trail, es gab aber einen geschotterten, später asphaltierten Zuweg bis zu unserer Unterkunft dem Stern.
Am Ostersonntag erwartete uns wieder eine längere Etappe von ca. 22km bis nach Schwäbisch-Hall/Hessental. Hinter Mittelfischach änderte sich relativ schnell das Wetter und uns blies ein heftiger Wind entgegen. Das war dann irgendwie die Krönung mit dem Asphalt, dem Anstieg, Gegenwind und der tristen Gegend. Einziger Lichtblick waren dann ein paar Alpacas, die auf einer Weide neben dem Trail herum lagen und uns mit ihrem besonderen Gesichtsausdruck fixierten. Die Mittagspause gestalteten wir an einem Häuschen, auf dessen verwitterten Stufen wir uns mit einem Holzstück eine Bank bauten. Bei so einer Stimmung half dann nur noch ein heißer Tee, ein leckeres Brötchen und evtl noch das obligatorische, sehr wandertaugliche, aber nicht vegane "hard boiled egg". Wir griffen in diesem Urlaub tatsächlich ein paar Mal zu.
Vor uns rauschten einige Windräder, die mit ihrer "Musik" unser Picknick untermalten. Die Dinger können ganz schön laut werden. Kurz vor Schwäbisch-Hall kletterten wir nochmal knapp 500 m auf den Einkorn hoch, um die Ruine der Wallfahrtskirche und den Aussichtstum zu passieren. Wir legten in dem gemütlichen Gasthof aber noch eine Kaffeepause ein und waren froh, dass wir noch einen Platz ergattern konnten. Der Einkorn war an diesem Feiertag ein beliebtes Ausflugsziel. Gab aber auch einen schönen Blick von hier über die Gegend und sogar Paraglider nutzten die Höhe.Von hier oben war es nicht mehr weit bis zu unserer Unterkunft in Hessental. Noch einmal steil bergab, über die Bahn und dann waren wir auch froh, die Beine hochlegen zu können. Auf dem Weg zum Hotel sahen wir ein Schild "KZ-Gedenkstätte Hessental". Im Internet fanden wir dann einige Informationen über diese Gedenkstätte und fragten uns, warum das in keinem Reiseführer erwähnt wurde?
Wir beschlossen, uns diese Gedenkstätte am nächsten Morgen anzusehen, und dann den Bus bis ins Zentrum Schwäbisch-Hall zu nehmen. Somit hatten wir etwas Zeit uns das Gelände anzusehen und vermieden einige Asphaltstraßen. Am Ostermontag ließen wir uns aber erstmal das sensationelle Frühstück schmecken, was mit dem inzwischen angewachsenen Wanderhunger sehr üppig ausfiel.
Die Gedenkstätte war sehr gut gemacht, dezent, wenig aufdringlich, aber doch eindringlich mit den informativen Tafeln und Bildern. Soviel Grausamkeit mitten in einer Stadt. In zwei Sätzen wurde erwähnt, dass die Stadtbevölkerung den Häftlingen Obst und Brot haben zukommen lassen, ein kleiner Trost? Wir waren betroffen, schockiert und hofften in dem Moment sehr, dass so etwas nie wieder in Deutschland stattfinden würde. Für weitere Informationen: www.kz-hessental.de
Mit dem Bus ging es dann bis zum ZOB, wo wir bald wieder auf den Trail stießen. Ziel dieses Tages war das Schloss Döttigen. Wir trafen endlich mal wieder Wanderer, die sich aber wohl nicht unterhalten wollten, denn sie zogen an uns vorbei, ohne dass wir ins Gespräch kamen. Vielleicht lag es aber auch an unserer dezent gedrückten Stimmung. Schon der vorletzte Tag unseres Urlaubs und dann noch trübes Regenwetter. Aber es gab ja noch ein Highlight ;-) Europas größte Stahlbetonbrücke, die Kochertalbrücke, mit 1128 Länge und 185m Höhe. Obwohl es ja nur eine Autobahnbrücke war, war es schon spannend darunter herzugehen, denn die typischen Autobahngeräusche waren wegen der Höhe gar nicht zu hören. In Neuseeland würde man dieses Konstrukt sicherlich fürs Bungee-Jumping nutzen. Hier in good old Germany fahren nur Autos drüber ;-) In Braunsbach machten wir nochmal ein kurzes Päuschen am Sportplatz auf der Zuschauerbank und mobilisierten die letzten Reserven für den Weg nach Döttigen. Die letzten Kilometer waren dann, wie zu erwarten, erstmal Hartbelag, dann Schotter und am Ende noch ein zerstörter Fahrweg. Das machte es für unsere Füße und mein Schienbein anstrengend. 2Tall hatte eine Blase unter dem Großzeh entwickelt und mein Schienbein muckte auch gewaltig. Dafür hatten wir es mit unserer Unterkunft sehr mondän getroffen und wir genossen den Abend und die Nacht im Schloss Döttingen sehr.
Unser letzter Tag auf dem Kocher-Jagst-Trail brach am Dienstag an. Die Strecke von ca. 16km war nochmal ein wenig hügelig, aber inzwischen waren unsere Muskeln deutlich besser trainiert. Die Blase unter dem Zeh eröffent und das Schienbein mit Diclophenac versorgt, kamen wir ganz gut voran. An einer Weggabelung waren wir uns nicht ganz sicher, wo es weiter ging und wir betraten wohl 2m Privatgrund. Es dauerte nicht lange, dass uns eine meckernde Frau entgegen kam, die uns völlig angesäuert fragte, was wir auf ihrem Grundstück machen würden. Wie immer eigentlich: Blumen klauen, Haustiere morden und Gartenhäuser anstecken... ich finde es schade, dass viele Menschen erstmal mit Misstrauen, Groll und Ärger anderen Menschen begegnen. Ich hoffe, wir können das anders gestalten.
Fazit: Ich habe mich sehr gut erholt, 2Tall hatte tolle Unterkünfte und perfekte Streckenlängen vorausgeplant. Den Weg kann man allerdings nicht als Trail bezeichnen. Das löst bei uns, und vielleicht auch bei anderen, andere Assoziationen aus. Die Wege bestanden einfach zu sehr aus Hartbelag und die Landwirtschaft dominierte nicht nur mit endlosen Feldern, sondern auch mit olfaktorischen Herausforderungen in Form von extremen Güllegerüchen. Einzelne Abschnitte können wir definitiv empfehlen, aber dazu muss man nicht den gesamten Weg mit seinen 195km wandern.
Trotzdem: "happy trails"!
(Good Grip, 21.6.2017)