An einem sonnigen Sonntag holte mich 2Tall aus Oberwesel ab, wo ich ein klangvolles Harmony College hatte. Was für eine tolle Sache, 4 Tage aus voller Kehle singen zu dürfen. Wir hatten von Oberwesel noch einiges an Kilometern bis nach Bad Windsheim zu fahren, aber ich war so voll von den Gesangstagen, dass ich die Autofahrt sehr gut zum "Runterfahren" nutzen konnte. Auch 2Tall brauchte diese Zeit, denn Schule ist vor den Ferien nicht gerade entspannt und geistreich, wie sie vielleicht sein sollte...
In Bad Windsheim hatten wir ein kleines Zimmer am Rande der Altstadt. Wir hatten uns dort für 2 Nächte eingebucht, weil der erste Etappenort auf dem Panoramaweg keine Zimmer mehr frei hatte. Das war auch gut so, denn das Frühstücksbuffet war super und auch das Internet funktionierte.
Die ersten 13 km auf dem Weg von Herbolzheim zurück nach Bad Windsheim mussten wir durch Hochnebel wandern, der sich nur mühsam verzog. Wir trafen zu Beginn zwei Wanderer, ansonsten gehörte der Weg uns. Es war so ruhig, dass noch nicht einmal die Vögel zwitscherten, geschweige denn, ein Eichhörnchen den Weg kreuzte. Die Stimmung war etwas gedämpft, wir noch nicht so in Wanderlaune und unsere Gedanken kreisten vom Appalachian Trail über den Bibbulmun Track nach Oberwesel... eine interessante Mischung.
Gegen 14 Uhr kamen wir schon in Bad Windsheim an und hatten noch ca. 1 km durch den Kurpark, mit Wasserfontaine, Kneipp-Anlage und Eichhörnchen. Endlich das erste Wildlife, was durch die Äste hüpfte. Die Betonwohnklötze waren aber eher erschreckend und wir wunderten uns wenig, dass darin kaum einer wohnte. Bad Windsheim wirkte insgesamt etwas trostlos und auch die Menschen waren sich wohl nicht ganz sicher, ob sie es mochten oder doch lieber auswandern wollten. Dies jedenfalls war das Erste, was uns die Taxifahrerin erzählte, sie wollte weg von dort, nämlich nach Canada, verstehen konnten wir es.
Unsere 2.Etappe ging von Herbolzheim nach Ippesheim, einem kleinen Örtchen am Rande des Panoramaweges. Leider hatte der einzige Gasthof im Ort Ruhetag und so gabs abends nur eine "Brotzeit" in unserem Gästehaus. Aber was für eine. Kaum vorstellbar, denn zum Brot gabs nicht nur Käse und Wurst, sondern auch eine Gesangseinlage des Chefs. Und das mir, gerade erfüllt von Septakkorden aus dem Harmony College, werden wir von einem bayerischen Halbwinzer (er vermietet Rebstöcke und war schon in "allen" Zeitungen damit...) angesungen. Im nüchternen Zustand nur sehr schwer erträglich, vielleicht hätten wir zum Abendbrot doch die alkoholische Traubensaftschorle nehmen sollen. Es war so bizarr und für uns "Preußen" nur schwer zu ertragen.
Wir hatten Alpträume von diesem Haus und den Menschen. Am Morgen sahen wir eine riesige Spinne über der Gardine und somit war das Grauen komplett. Wir waren froh, als die Tochter uns die 4 km zum Weg nach Bullenheim brachte und wir bedauerten sie, dass sie zurück mußte. Wir konnten weiter wandern und ließen die Gedanken noch etwas um den Abend kreisen.
Wir hofften, dass wir durchs Wandern schnell diese Beklemmung ablegen konnten und kamen schon bald an die Kunigundenkapelle aus dem 15. Jahrhundert. Der Blick war schön und wir freuten uns auf den waldigen Abschnitt, der vor uns lag. Aber es dauerte nicht lange, der Wald endete und das Wetter wurde mies. Mit den Ponchos bewaffnet schleppten wir uns über matschige Feldwege, der Dreck klebte unter unseren Schuhen und die Stimmung wurde dadurch nicht besser. Im nächsten Ort nutzen wir das Dach einer Bushaltestelle und aßen unsere Brötchen, die morgens noch hart und trocken waren, und sich nun in gummiartige Wesen verändert hatten. Als der Schulbus kam, guckten die Kleinen etwas irritiert wegen der matschverkrusteten Wanderer an ihrer Bushaltestelle, aber wir durften bleiben und sie zogen mit ihren Ranzen nach Hause. Wir kamen nass und kaputt in Iphofen an und fanden das Tiptop-Hotel recht schnell hinter dem beeindruckenden Stadttor. Wie kann sich eine Hotelkette nur Tiptop nennen, völlig absurd, aber es war tatsächlich ein gutes Zimmer und es gab eine tolle Küche, also doch alles tip top. Iphoven ist ein Vorzeigeörtchen, mit Vinotheken, Galerien und kleinen Boutiquen für Ledertäschchen. Aber glaubt ja nicht, dass es dort einfach wäre, eine einfache Tafel Schokolade zu kaufen. Ein simpler Kiosk bzw ein Büdchen, wie es so schön in Köln heißt, ist nicht zu finden. Aber 2Tall fand dann doch noch glutenfreie Schokoladenkekse in der Biobäckerei für ein kleines Vermögen. Jetzt ist klar, was Iphoven so zu bieten hat, oder?
Am nächsten Morgen ging es in 20 km über den Schwamberg nach Abtswind. Die Sonne strahlte und wir konnten im T-Shirt den Weg durch die Weinfelder starten. Auf dem Schwamberg waren zwar zahlreiche Besucher, aber wir waren mal wieder allein auf einem tollen Abschnitt dieses Panoramaweges. Endlich gab es Pfade, Waldwege ohne Schottersteine und wir genossen es sehr, bei sommerlichen Temperaturen unterwegs zu sein.
Wir übernachteten in Abtswind, einem kleinen Örtchen mit wenig Infrastruktur. Wir waren ziemlich ausgehungert und hätten uns gerne in eine Café oder in einer Bäckerei begeben, aber die Örtlichkeiten gaben eine Metzgerei-Bäckerei-Kombi her, die an 3 Tagen in der Woche von 6 bis 11 Uhr geöffnet haben. Das sind mal Öffnungszeiten, oder? Als nicht motorisierter Bewohner oder Wanderer in dieser Ortschaft ist man aufgeschmissen. Kein Wunder, dass die Leute aus diesen Orten verschwinden und die Landflucht allgegenwärtig ist.
Der Gasthof "Zur Schwane" (nein, kein Rechtschreibfehler) bot uns ein riesiges Zimmer mit Minibar, die drei verpackten Nüsschen für 2 € verschmähten wir allerdings. Die Küche konnten wir sehr empfehlen, allerdings ist unser Wandermagen auch nicht gerade anspruchsvoll.
Am nächsten Morgen investierten wir erst einmal in zuckrige Zwischenmahlzeiten und machten uns dann auf, um bei leichtem Regenwetter ein Stückchen an der Ausfallstraße entlang zu gehen. Bevor wir wieder auf den offiziellen weg kamen, ging es querfeldein einen Waldhang hoch, das GPS zeigte uns eindeutig einen Weg, aber leider war er in den letzten Jahren wohl abhanden gekommen. Es war eine Kletterpartie am Steilhang und wir überlebten nur knapp... Der Rest des Weges wurde aber endlich so, wie wir uns das vorgestellt hatten, dichter Buchenwald und einsame Pfade, toll. Wir merken immer wieder, wie wohl wir uns in den Wäldern fühlen. Weinberge oder malerische Städtchen sind für uns weniger attraktiv. Gut, ab und zu eine Bäckerei mit Teilchen und Kaffee hat auch was und kann die Stimmung heben.
In Ebrach gab es neben dem Kloster die JVA und unser Gasthof "Zum alten Bahnhof" glänzte mit Puzzlebildern, großgemusterten Sitzlandschaften und einem Radio aus den 60gern. Zeitmaschine? Schon irgendwie, auch das Straßenschild mit "guter Küche und gepflegten Getränken" verstärkte das Retro-Urlaubsgefühl, der ultimative Kick kam dann aber im Zimmer mit der Knax-Spardose. Bayern ist eben doch nicht nur ein anderes Bundesland.
Gerolzhofen war der nächste Zielort und die Ankündigung des Herbstfestes der Hotelwirtin verhieß nichts Gutes. Der Weg wurde allerdings wunderbar waldig und trailig. Die Stimmung mit dem Nebel war einzigartig und wir genossen den Tag sehr, wenn nicht die fettigen Käsespätzle meinem Gastrointestinaltrakt etwas zugesetzt hätten. Aber bei viel Wald und Buschwerk ist das ja fast kein Problem :-/
Um nach Gerolzhofen zu kommen, mußten wir leider ca. 6 km vom Hauptweg abgehen, leider viel auf Asphalt, so dass die Füße doch irgendwann ziemlich platt gelatscht und wir müde und kaputt waren. Aber da kam ja noch auf dem Markt das Herbstfest. Schlagerstimmen vom Kinderkarussel, eine Drehorgel vor dem Bierwagen... die Stimmung war "aufgeladen". Wir fanden es erschreckend trostlos und waren froh, als wir endlich ins Hotel konnten. Die Musik hörten wir in unserem Zimmerchen immer noch, zum Glück etwas gedämpft. Die Szenerie war schwer zu beschreiben, aber es sah weder nach Herbst noch nach einem Fest aus, naja, irgendeinen Grund zum Feiern muss es hier vielleicht geben.
Unser Zimmerchen war klein und verwinkelt und auf Höhe der Kirchturmuhr, die viertelstündlich schlug. Idyllisch? Eher ein wenig störend, abends gabs dann noch ein schlechtes Fußballspiel, so dass wir von Gerolzhofen nicht unbedingt uneingeschränkt beeindruckt waren. Die Pizzeria riss allerdings vieles wieder raus. Ich bin ja sonst nicht so der Pizzatyp, aber dünner Boden und frische Steinpilze waren echt lecker.
Um nicht am nächsten Morgen 5 km auf dem asphaltierten Radweg laufen zu müssen, entschieden wir uns, in ein Taxi bis Michelau zu steigen. Der Nebel hielt sich bis zum Zabelstein, wo wir leider dann keine Aussicht hatten, aber dafür viele Tageswanderer trafen, die sich auf den vielen ausgeschilderten Wanderwegen "vergnügten". Es war richtig voll um den Hügel, und unsere Nasen kamen mit den Parfumwolken der Damen und den Aftershavedüften der Männer kaum zurecht. Unfassbar, was manche Leute sich und ihren Mitmenschen antun.
Auf dem Weg nach Eschenau hatten wir wieder sehr viel Sonne und wir nutzten jede Bank zum Sonnenbad... Am nächsten Tag starteten wir mit einem ziemlichen Brummschädel, denn das Zimmer war super stickig und auch die Mücken störten die Nachtruhe erheblich. Zum Frühstück gabs dann erstmal Kaffee mit saurer Milch, was das Fass beinahe zum Überlaufen geracht hätte. Man, wie waren unentspannt und mußten in dieser Stimmung erstmal wieder aus dem Tal kraxeln. In solchen Momenten heißt es einfach nur schnell los laufen.
Der Weg bis Eltmann ging dann leider über asphaltierte Feldwege, die zwar schön sonnig, aber leider nicht sehr angenehm zu gehen waren. Nach knapp 20 km ist jeder Fußknochen über eine waldige, weiche Unterlage hoch erfreut.
Unterhalb der Wallburg hatten wir eine gemütliche Unterkunft, die wir uns allerdings mit diversen Österreichern teilen mussten, die wohl in der naheliegenden Fabrik arbeiteten. Abends beim Essen diskutierten sie tatsächlich darüber, ob Franken in Bayern liegen würde und nannten ihre Mitmenschen Piefkes... na dann, guten Appetit. Wir surften an dem Abend das Internet leer und hatten nach 2 Tagen einiges aufzuholen, ja, wir sind wichtig und müssen regelmäßig unsere Mails checken...;-)
Am letzten Tag dieses Panoramaweges ging es nach Bamberg, mit ca. 22 km wars nochmal eine lange Etappe und leider war gerade zu Beginn viel Asphalt unter unseren Füßen. Die Gelenke meckerten auch bald und nur die warme Sonne konnte es wieder rausreißen. Es war wettertechnisch ein Traumtag und am Ende saßen wir bei Kaffee und Kuchen im sonnigen Biergarten unserer letzten Unterkunft und waren versöhnt.
Insgesamt können wir diesen ca. 170 km langen Wanderweg den Menschen empfehlen, die auf deftige Küche und Wein stehen. Wir haben uns erholt, fanden aber die vielen Schotter-und Asphaltwege nicht so gut. Wir genießen jeden Schritt im Wald mit wurzelig und weichem Untergrund - happy trails.
(Good Grip, 30.4.2016)