Pacific Crest Trail:
17. Von Stevens Pass nach Stevens Pass
Knapp 7 Monate sind vergangen nach unserem letztem Sabbatjahr. Wir haben viel gearbeitet und freuen uns sehr auf unsere Sommerferien. Wir sind erschöpft, haben aber nur einen Ferientag, an dem wir uns "schnell" erholen und unsere Rucksäcke packen können. Denn dann geht es schon nach Hamburg zum Flughafen, von wo wir über Helsinki nach Seattle fliegen wollen.
Ziel ist nochmal der Pacific Crest Trail, den wir ja im Sabbatjahr leider wegen der Waldbrände in Kalifornien verlassen mussten. Auch mussten wir wegen Antjes Fußproblemen Teile in Washington auslassen, die wir in diesen Sommerferien nachholen wollen.
Eine besonders liebe Freundin holt uns zu Hause ab und fährt uns nach Hamburg. Das ist wirklich unfassbar nett und wir sind dankbar, dass wir ganz gemütlich gefahren werden. Danke!
Die Menschenschlange an der Sicherheitskontrolle ist so lang, dass wir uns auch drei Stunden vor Abflug Sorgen machen, ob wir es überhaupt rechtzeitig zum Gate schaffen werden. Es klappt, aber viel Puffer haben wir nicht.
Unser Flug nach Seattle ist komplett ausgebucht und wir sitzen irgendwo in der Mitte. Also nix mit mal eben austreten oder Beine in den Gang ausstrecken. Neun Stunden liegen vor uns, im Rausch der Höhe versuchen wir, irgendwie lebend am Ziel anzukommen. Aber das ist schwer genug. Wir schlafen zwar mal ein, aber Beine und Nacken fühlen sich schrecklich an. Es ist leider ein langer, unbequemer Flug.
Unser Koffer kommt als erster aufs Gepäckband, aber die Immigration möchte alles ganz genau wissen und dann will der Zoll auch nochmal unsere Taschen durchleuchten. Oh mann, komisches Gefühl, aber wir dürfen dann doch weiter ziehen, ohne den Koffer oder die Rucksäcke zu öffnen.
In Seattle haben wir in der Nähe des Flughafens für zwei Nächte ein Hotelzimmer reserviert, von wo aus wir unsere Einkäufe erledigen und den Jetlag etwas ausschlafen können. Mit einem Shuttle geht es dann über Snoqualmie Pass nach Wenatchee. Unsere Freunde warten schon auf uns und es ist so schön, die beiden wiederzusehen.
Wir lernen "Bear" kennen, das neue Familienmitglied von den beiden. Ein älterer, etwas übergewichtiger gelber Rüde, der uns nur vorsichtig begrüßt. Er scheint nicht mehr ganz gut zu sehen, aber mit seinem Halstuch sieht er klasse aus und sein manchmal etwas schiefer Blick ist zuckersüß. Er liebt übrigens Jazz, was für ein besonderer Hund.
Unsere Freunde fahren uns Anfang der Woche zu Stevens Pass. Das ist mal wieder großartig von ihnen, denn das sind ungefähr 1,5 Stunden Fahrt pro Strecke.
Wir starten unsere Wanderung bei Kälte und leichtem Nieselregen. Aber die Aufregung macht das Ganze erträglich. Wir sind wieder unterwegs, das fühlt sich toll an, auch, wenn der Rucksack mit der supervollen Futtertüte sehr schwer ist. In sieben Tagen wollen wir es an Glacier Peak vorbei bis Stehekin schaffen.
Wir treffen auf dem Trail ein paar Southbounder, auch eine Deutsche ist dabei. Wir fragen sie auch nochmal, wie die Schneesituation ist, und ob es überhaupt ohne Eisaxt und Spikes geht. Die Antwort ist eindeutig, dass es machbar sei, und sie würden uns alles Gute und viel Spaß wünschen. Im Nachinein können wir über diesen Gesprächsbeitrag nur den Kopf schütteln...
Die Schneemassen sind schon beeindruckend, aber wir kommen bis Lake Walhalla und auch weiter bis Lake Janus richtig gut voran. Es gibt sogar zwei Tageswanderinnen, die uns ihre Äpfel anbieten, aber wir lehnen dankend ab, denn unsere Freunde in Wenatchee hatten uns ein grandioses Frühstück gezaubert.
Unser erster Stop für die Nacht ist Lake Janus, unglaublich idyllisch, mit perfektem Blick auf den See und einer fantastischen Bergkulisse. Wir sind früh da und können uns in Ruhe organisieren. Kolibris schwirrren um uns herum, Mücken auch, aber der Platz ist zu schön, da nehmen wir das in Kauf.
Irgendwann hören wir Stimmen und ein sehr tapsiger, großer Hund fetzt einmal um uns herum, springt Mark an, verheddert sich am Zelt und läuft wieder zu seinen Besitzern zurück. Die rufen lauthals seinen Namen, an den sich "Rusty" aber im Moment so gar nicht zu erinnern scheint.
Die Kondensation ist enorm hier und unser Zelt schwimmt morgens von innen. Dann müssen wir eben wieder die Taktik vom Arizona Trail anwenden. Mittags ein sonniges Plätzchen finden, um zu essen und unsere Klamotten zu trocknen. Dry out party!
Nach einem langen Aufstieg kommen wir bald an Schneefelder, die sehr steil am Hang liegen und beängstigend zu überqueren sind. Es geht nur sehr langsam voran, wir müssen jeden Schritt kicken, bewusst in die Schräge setzen, manchmal halten wir uns an Tannenzweigen fest. Es ist eine Quälerei und in uns kommt immer wieder die Angst hoch, was passiert wohl, wenn wir ins Rutschen geraten. Die Hänge sind teilweise so lang und steil, dass wir uns nicht vorstellen können, dass so eine Rutscherei am Ende gut ausgeht, wenn wir unten am Hang in irgendwelche Felsen schliddern würden. Außerdem ist der Trail oft gar nicht erkennbar, weil er unter großen Schneefeldern begraben ist, und die Spuren anderer Wanderer sind nach kurzer Zeit auch nicht mehr zu sehen, einfach weggeschmolzen, denn der Schnee taut. Er taut schnell genug, um die Spuren verschwinden zu lassen, aber zu langsam, als dass wir darauf warten könnten, dass wir einen sicheren Trail haben.
Wir haben noch nicht einmal Fotos gemacht, die realistisch wiedergeben, wie angsteinflößend die Schneesituation ist. Dafür hatten wir einfach zu viel mit uns selbst zu tun.
Wir sind extrem angespannt und hoffen, dass uns nichts passiert. Etwa zwei Meilen vor unserem eigentlich Ziel machen wir Schluss. Der Campspot ist etwas feucht, aber wir können einfach nicht mehr und brauchen Pause. Wir sind uns nicht sicher, ob wir den weiteren Weg schaffen können. Wird es irgendwann wieder besser oder war das alles eine Schnapsidee mit dem PCT nach diesem "high snow year"? Es ist Mitte Juli, aber der Schnee ist an manchen Stellen der Nordhänge einfach immer noch mehrere Meter hoch vorhanden.
Am Morgen wollen wir es nochmal probieren und marschieren erstmal los. Irgendwann treffen wir "Autopilot" aus Hamburg. Er ist von der kanadischen Grenze gestartet und rät uns davon ab, weiterzugehen. Ohne Spikes an den Füßen und ohne Eisaxt ist es sehr riskant und auch ein weiterer Wanderer erzählt, dass es etwas weiter nördlich erst so richtig los geht mit dem Schnee. Und wir hören Berichte, dass Leute unfreiwillig die Schneehänge herunter gerutscht sind, ohne anhalten zu können! Die meisten hatten wohl Glück, aber Todesangst dabei.
Wir beschließen an diesem Punkt, umzukehren. Am Morgen des dritten Tages. Es fühlt sich nach Versagen und Schwäche an, aber es ist auch gut, seine Grenzen zu kennen, und zu wissen, wann man umdrehen muss. Das versuchen wir uns jedenfalls immer wieder zu sagen. Wir fühlen uns trotzdem richtig schlecht, nach allen Vorbereitungen, der langen Anreise und der Vorfreude.
Wir entscheiden uns, zum Pear Lake zu gehen. Fiese Schneefelder, die wir schon einmal gegangen sind, sind auch auf dem Rückweg angsteinflößend. Einiges ist weggetaut und manche Überhänge sind dünner geworden. Hält uns die Schneebrücke noch, brechen wir ein...? Ständig diese Gedanken.
An einer Stelle traut Antje sich nicht, den entscheidenen Schritt vom Felsen aufs Schneefeld zu machen, über einen drei Meter tiefen Spalt, der breiter ist als auf dem Hinweg, weil der Schnee ja taut. Wird die Kante vom Schnee halten oder abbrechen, sodass wir in die Spalte fallen? Antje hat einfach Angst. Klettert zu einer anderen Stelle, aber das klappt auch nicht. Sie ist echt verzweifelt. Nach langem Zureden und erhöhtem Puls macht sie dann den entscheidenen Schritt hinter Mark her und mit Schnappatmung gehts weiter. Mann, das war heftig. Die Angst ist so übermächtig.
Am Pear Lake finden wir ein schönes Plätzchen und stellen das Zelt auf. Wir sind komplett alle, ausgepumpt und natürlich extrem enttäuscht. Es ist definitiv die richtige Entscheidung umzukehren, aber was nun? Wie geht es weiter, was machen wir jetzt hier in den USA?
Über unseren Garmin können wir SMS verschicken und, auch, wenn es uns mega unangenehm ist, kontaktieren wir wieder unsere Freunde in Wenatchee. Unsere Engel und Retter in der Not, mal wieder. Kurze Zeit später die Antwort: sie werden uns am Freitag von Stevens Pass wieder abholen, und was täten wir nur ohne diese hilfsbereiten Menschen.
Als wir uns am See schon etwas ausgeruht haben, kommt ein englisch/amerikanisches Pärchen, die bis hierher gegangen sind, aber auch entschieden haben, umzukehren. Als wir ihnen von unseren Erfahrungen berichten, sind sie etwas versöhnt mit ihrer Entscheidung, aber auch die beiden sind von weit her angereist und etwas ratlos, was sie nun machen können. Sie wollen erstmal einen Zero am See einlegen und dann wieder zurück zu Stevens Pass gehen.
Wir wissen ja leider, was uns auf dem Rückweg noch erwartet und das macht die Sache nicht besser. Auch hier gibt es Bereiche, die einfach nur schrecklich sind, auch wenn der Schnee an manchen Stellen etwas weicher ist und man besser Tritte hinein kicken kann. Als wir am Nachmittag am Lake Janus ankommen, sind wir durch. Antje fühlt sich nicht gut und stolpert nur so vor sich hin. Wir steuern unsere bekannte Campsite von der ersten Nacht an und stellen uns erstmal mit den Füßen in den See. Das hilft sehr, um uns wieder zu sammeln.
Nachmittags erreichen wir am kommenden Tag Stevens Pass. Wir steigen etwas zerknirscht ins Auto, erzählen unsere Erlebnisse und sind so dankbar, dass wir hier in den USA so tolle Menschen als Freunde haben, die uns in jeder Notlage unterstützen. Mal sehen, was wir in den nächsten Wochen hier noch werden machen können.